Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Story:
Irgendwo in einem alten Wald lebt seit Urzeiten ein Einhorn. Es altert nicht, und seinetwegen ist auch im Wald immer Frühling. Aber eines Tages belauscht das Einhorn zwei Jäger. Die unterhalten sich darüber, dass schon seit Menschengedenken niemand mehr ein Einhorn gesehen hat.
Sollte es tatsächlich das letzte seiner Art sein? Und was ist mit all seinen Gefährten passiert? Das Einhorn verlässt seinen Wald und macht sich auf den Weg, die anderen Einhörner zu suchen. Unterwegs schließen sich ihm der Jahrmarktzauberer Schmendrick und die Räuberbraut Molly an. Zusammen müssen sie sich König Haggard und dem mächtigen Roten Stier stellen...
Außerdem erzählt die kleine Sooz davon, wie sich einmal ein Greif in der Nähe ihres Dorfs niederließ. Das Fabeltier ernährt sich vom Vieh der Dorfbewohner – und von ihren Kindern.. Als ihre beste Freundin verschwindet, macht sich Sooz ganz alleine auf den Weg zum König, um ihn um Hilfe zu bitten. Auf dem Weg trifft sie zwei Reiter – einen ehemaligen Jahrmarktzauberer und eine frühere Räuberbraut. Aber es ist viele Jahre her, seit diese beiden gemeinsam mit König Lír ihre Abenteuer erlebt haben. Kann der alte König noch gegen den Greif antreten?
Meinung:
Über das letzte Einhorn muss man eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren. Seit fast fünfzig Jahren verzaubert die Geschichte Leser in aller Welt, und bis heute hat sie nichts von diesem Zauber verloren. Da ist es nicht verwunderlich, dass Peter S. Beagles Erzählung unter den vier Titel ist, mit denen sich die Hobbit Presse, das phantastische Programm bei Klett-Cotta, zum vierzigjährigen Jubiläum des Segments präsentiert.
Schon Beagles Sprache in der Übersetzung von Jürgen Schweier zieht den Leser mit den ersten Worten in seinen Bann. Der Rhythmus, die Melodik, die Emotionalität der Sprache berühren wohl jeden, der sich unter den harten Schichten des Alltags noch ein wenig Sinn für das Wunderbare bewahrt hat. Der Autor erzählt zum einen epische Fantasy im besten Sinne, mit Rittern und Königen und Zauberern, mit geheimen Gängen und alten Hexen und bedrohlichen Ungeheuern. Aber die Geschichte ist gleichzeitig wie ein Märchen, das man seinen Kindern vorlesen möchte. Und sie ist gleichzeitig voller Humor und Ironie, auch voller Ironie über sich selbst und seine Charaktere. Beagle schafft es immer, seine Figuren auf dem schmalen Grat zwischen Heroisierung und Lächerlichkeit zu halten.
Auch die Handlung selbst hält die Balance: Den Helden gelingt längst nicht alles mühelos, oft stehen sie kurz davor, endgültig zu scheitern. Aber es ist fast immer ihr eigenes Verdienst, wenn es dann doch gelingt, nie fällt ihnen die Lösung einfach so in den Schoß. Und auch das Ende ist bittersüß. Einerseits ein klassisches Happy End, andererseits haben einige auch vieles verloren, was sie nie wieder zurück bekommen werden.
In vielerlei Hinsicht wirkt Beagles Geschichte wie der Prototyp einer märchenhaften Fantasy-Erzählung: Auch wenn viele andere Autoren teils großartige, teils weniger großartige Werke mit Zauberern, Königen, Flüchen oder Einhörnern geschrieben haben – nach dem Lesen dieses Buches fühlt es sich an, als wäre das "Letzte Einhorn" die Messlatte, an der sich alle anderen messen lassen müssten. Beagle erzählt so treffend, so diffizil, aber auch mit so viel Autorität und Weisheit, dass viele Leser zu den Ergebnis kommen werden: Wenn es Einhörner geben sollte, müssen sie so sein, wie Peter S. Beagle sie beschreibt. Alle anderen Autoren, die sie anders beschreiben, genehmigen sich vielleicht künstlerische Freiheiten.
Wie an den Figuren geht die Geschichte nicht völlig spurlos am Leser vorbei. Emotional können die Erlebnisse des letzten Einhorns und seiner Freunde für zu junge Leser überfordernd sein. Aber wer verstehen und bewältigen kann, dass das Leben nicht immer völlig gerecht ist, und dass am Ende einer Geschichte eben nicht das vollkommene Happy End stehen muss, für den ist Das letzte Einhorn eine Lektüre, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Der Band enthält auch die Fortsetzung "Zwei Herzen", für die Peter S. Beagle im Jahr 2006 mit den beiden wichtigsten Preisen der Fantasy-Literatur, dem Hugo Award und dem Nebula Award, ausgezeichnet wurde, übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann. Es mag für etwas Stirnrunzeln sorgen, dass der Verlag die Erzählung doch recht prominent auf das Titelbild gehoben hat, obwohl sie rein mengenmäßig nur rund ein Sechstel der Seiten ausmacht. Bei "Das letzte Einhorn und zwei Schwerter" könnte der unbedarfte Käufer an eine Fortsetzung denken, ähnlich der Reihentitel "Harry Potter und... ". Tatsächlich ist "Zwei Herzen" eher wie ein Bonuskapitel zum "Letzten Einhorn".
Die Qualität der Fortsetzung ist jedoch, wie von Beagle gewohnt, über jeden Zweifel erhaben. Der Duktus ist etwas anders, persönlicher als beim "Letzten Einhorn", aber nicht weniger fesselnd. Diesmal erzählt er aus der Sicht eines kleinen, neunjährigen Mädchens, das versucht, sein Dorf vor einem in der Nähe nistenden Greif zu schützen. Das ermöglicht dem Autor neue Blickwinkel auf Schmendrick, Molly, dem inzwischen längst als König regierenden Lír und auch auf das Einhorn, das natürlich in der Fortsetzung nicht fehlen darf. Das Versprechen, das Molly dem Mädchen am Ende gibt, wird bei vielen Lesern die Phantasie anspornen und sie dazu bringen, Sooz weitere Abenteuer erleben zu lassen. Vielleicht wird Peter S. Beagle das eine oder andere davon irgendwann einmal aufschreiben.
"Zwei Herzen" gehört in jedem Fall in das Bücherregel jedes Phantastik-Liebhabers. Und viele wird es auch nicht stören, wenn sie die Fortsetzung im Bündel mit dem "Letzten Einhorn" bekommen, kann das doch Anlass sein, auch diese wundervolle Geschichte wieder einmal zu lesen. Und wem die erste Begegnung mit dem Einhorn noch bevorsteht, hat umso mehr Grund zur Freude.
Fazit:
Ein Klassiker, den jeder Phantastik-Liebhaber im heimischen Bücherregal haben sollte, im selben Band wie die zwar kurze, aber nicht weniger wunderbare Fortsetzung. Welche Ausrede gibt es, dieses Buch nicht zu lesen?
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Peter S. Beagle
Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
The Last Unicorn / Two Hearts
Übersetzer: Jürgen Schweier / Cornelia Holfelder-von der Tann
Erscheinungsjahr: 2009
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Klett-Cotta
Preis: € 19,90
ISBN: 978-3608938722
304 Seiten
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