Frauen reden anders, Männer auch
Story:
Vor hundert Jahren galt eine dunkle Stimme als unweiblich – heute beschert sie der Sprecherin vielleicht einen Job als Nachrichtenmoderatorin. Zu den Waffen einer Frau gehört ihre Stimme. Je nachdem, welches Register sie anschlägt, reagiert der Mann – beim Anbandeln ebenso wie beim Streiten. Die Stimme trägt akustische Signale. Sie verrät innerhalb von Sekunden alles über Herkunft, Status, Erziehung. Und verändert sich mit den Rollen, die Männer oder Frauen einnehmen. Anne Karpf spannt einen weiten historischen, soziologischen, psychologischen und wissenschaftlichen Bogen rund um unsere Stimme. Und sie erklärt uns, warum man den Klang der eigenen Stimme meistens nicht mag, warum Fernsehen die Stimmentwicklung von Kindern hemmt und warum Tony Blair und Bill Clinton schon aufgrund ihrer Sprechweisen eine neue Generation von Politikern repräsentierten.
Meinung:
Eins muss gleich vorneweg gesagt sein: Hierbei handelt es sich nicht um ein Werk, das wieder einmal versucht, die kommunikativen Probleme zwischen Männern und Frauen aufzudröseln und mit pseudo-wissenschaftlichen Ratschlägen Hilfestellung zu geben. Leider scheint darauf jedoch die komplette Vermarktung des Buchs zu basieren, denn sowohl der furchtbare deutsche Titel (im Original hat der Band den neutralen Titel "The Human Voice", auf Deutsch also "Die menschliche Stimme") als auch der Klappentext lassen darauf schließen. Kauft man das Buch in entsprechender Absicht dürfte man damit sicherlich nicht wirklich glücklich werden. Nein, Anne Karpf stellt uns keine mysteriösen unterschwelligen Signale innerhalb der Stimme vor, an der sich vielleicht erkennen lässt, wie eine Aussage gemeint ist. Vielmehr präsentiert sie uns mit ihrem knapp 500 Seiten dicken Wälzer ein umfassendes - und noch dazu sehr interessantes - Werk über die Stimme. Und zwar erkundet sie die Stimme an sich. Nicht als bloßes Mittel zum Zweck, um mit Tricks mal schnell im Job oder beim anderen Geschlecht gut auszusehen. Die Autorin beschreibt uns das Phänomen Stimme, das nach wie vor der am wenigsten erforschte Teil des Menschen ist, in allen seinen Facetten. Woher kommt die Stimme und welche historische Entwicklung kann man nachvollziehen? Was macht sie aus? Wie wird sie durch Lebensraum und Geschlecht beeinflusst? Die Autorin bleibt stets wissenschatlich fundiert, schafft es aber durch einen Mix aus historischen Begebenheiten, literarischen Zitaten und beispielen aus Film, Fernsehen und Radio nie zu langweilen. Neben Fremdquellen greift sie dabei auch auf 50 selbst geführte Interviews mit Menschen zurück, die der Autorin über die Beziehung zur eigenen Stimme berichten. Höchst interessant ist der Teil des Buchs, indem sie mit dem Vorurteil aufräumt, dass Frauen viel mehr reden als Männer und der, in dem sie aufzeigt, warum Al Gore - trotz größerer Kompetenz - George W. Bush bei der Präsidentschaftswahl aufgrund der Wirkung seiner Stimme unterlag.
Fazit:
Unterhaltsam geschrieben und durchgehend lehrreich. Dieses Buch werden sogar Leute interessant finden, die normalerweise schon beim Wort "Wissenschaft" zu gähnen anfangen. Nur schade, dass der Verlag dem Werk selbst offensichtlich nichts zutraut und auf falsches und irreführendes Marketing setzt.
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