Die verlorenen Kinder
Story:
Dezember 2006 kehrt der Wissenschaftler Enrique Miliani in seine Heimat Argentinien zurück. Lange er hat davor zurückgeschreckt, diesen Schritt zu machen. Und tatsächlich werden ihm bei seiner Rückkehr schockierende Familiengeheimnisse offenbart, die sein Leben aus dem Konzept bringen.
Meinung:
Mein Name ist Victoria wurde 2011 auf Splashbooks rezensiert und erzählte die Geschichte einer argentinischen Frau, die bald erfuhr, dass ihr ganzes Leben auf einer Lüge basierte. Es war das schriftgewordene, autobiographische Zeugnis eines Menschen, wie es sie in dem Land viele gibt. Auch Robert Schopflocher beschäftigt sich mit dem Thema. Sein Roman hat den Titel "Die verlorenen Kinder".
Der Autor wurde 1923 in Fürth geboren. Als zehnjähriger erlebte er die Machtergreifung der Nationalsozialisten mit und zog 1937 mit seiner Familie nach Argentinien. Heute lebt er in Buenos Aires, und ist als Schriftsteller tätig. Zunächst in spanischer Sprache, seit den 90ern auf Deutsch. Seine Werke wurden vielfach in Argentinien und Deutschland preisgekrönt.
Enrique Miliani ist Wissenschaftler in den USA, und dabei nicht sehr erfolgreich. Im Dezember 2006 beschließt er, zurück in seine Heimat zu gehen. Ein Schritt, vor dem er sich sieben lange Jahre erfolgreich gedrückt hat. Vor allem seine Familie ist es, vor der er sich insgeheim fürchtet. Und tatsächlich muss er nun aus nächster Nähe die Tragödie seiner Tante miterleben.
Sie hat während der letzten Militärdiktatur zwei Kinder verloren. Angeblich, weil sie den Guerillas angehörten. Und so enthüllt sich Enrique die schreckliche Geschichte, nicht nur seiner Familie, sondern auch seines eigenen Landes, welches anscheinend nie fähig war, eine echte Demokratie zu werden. Und er muss sich entscheiden, ob er seiner Heimat den Rücken zuwenden soll, oder bleiben soll.
Den nüchternen Fakten nach ist Argentinien ein beeindruckendes Land. Der achtgrößte Staat der Welt, der zweitgrößte von Südamerika. Auf Grund seiner Ausdehnung verfügt es über zahllose Klima- und Vegetationszonen. Zudem kann das Land auf eine bewegte Geschichte zurückschauen. Doch aktuell scheint die Lage, so ist Argentinien seit 1983 eine Demokratie, sich stabilisiert zu haben.
Und doch gibt es jede Menge aufzuarbeiten. Denn die Schandtaten der Diktaturen wurden, wenn man den vielen Büchern Glauben schenken darf, die sich mit der Epoche und ihren Konsequenzen beschäftigen, nie richtig aufgeklärt. Und Robert Schopflocher macht dies in "Die verlorenen Kinder" besonders deutlich.
Dabei ist das Buch nicht einfach zu lesen. Weniger wegen dem Schreibstil, der vor allem durch seine Nüchternheit glänzt. Es ist vielmehr die Atmosphäre, in der die Handlung stattfindet. Denn die ist trübe, schon fast melancholisch. Helle Augenblicke gibt es keine.
Das fängt schon beim Protagonisten an. Enrique Miliani ging ursprünglich in die USA, um erfolgreich zu sein. Doch eher ist das Gegenteil eingetroffen: Er lebt förmlich vor sich hin, und schafft es einfach nicht, vorwärts zu kommen. Etwas lähmt ihn, doch was genau?
Die Antwort liefert seine Familie. Und es wird schnell klar, wieso Enrique damals vor ihnen förmlich geflohen ist. Denn fast ausschließlich hat er es mit Leuten zu tun, die die Diktatur damals nicht so schlimm fanden. Noch dazu ist sie gespalten. Auf der einen Seite die Tante, um die sich Enrique Sorgen macht, auf der anderen Seite der Rest. Und der Protagonist selber in der Mitte.
Und über allem schwebt die Vergangenheit, die Robert Schopflocher wiederholt wachruft. Bruchstücke tauchen auf, kurze Erinnerungsfetzen, die trotzdem ausreichen, um die trübe Atmosphäre noch zu steigern. Denn klar wird, dass großes Unrecht in der Vergangenheit geschehen ist. Und es ist zum Handlungszeitpunkt immer noch ungesühnt.
Dabei geht es dem Autoren nicht darum, über Schuld und Sühne zu schreiben. Das haben andere Schriftsteller bereits erfolgreich getan. Ihm geht es um die Biografie seiner zweiten Heimat. Die Missstände damals und heute aufzuweisen, ohne jedoch einen Ausweg parat zu haben. Was auch nicht Sinn und Zweck der Handlung wäre.
Am besten, man liest "Die verlorenen Kinder" langsam, Abschnittsweise. Dann hat man mehr von dem Buch. Welches außerdem ein "Klassiker" ist. Und natürlich auch den "Splashhit" verdient hat.
Fazit:
Auch wenn die Atmosphäre in Robert Schopflochers "Die verlorenen Kinder" eher trübe ist: Das schmälert das Lesevergnügen keineswegs. Im Gegenteil: Es sorgt dafür, dass man sich umso auf die Handlung konzentrieren kann. Und die ist sehr gut geworden. Berichtet wird von einem gespaltenen Land. Die einen fliehen, die anderen bleiben. Und die, die bleiben teilen sich in die auf, die die Diktatur verdammen und die, die sie gut fanden. Und so liest der Roman mehr wie eine Biografie von Argentinien. Und zwar eine sehr gute.
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