Der Name des Windes
Story:
„Ich bin ein Mythos“, sagt Kvothe über sich selbst. Ein jeder kennt seinen Namen, seine Taten und seine Geschichte. Er ist der Blutlose, der Königsmörder, der meisterhafte Lautenspieler, der Zauberer und einzig wahre Nachfahre des Magiers Taborlin der Große. Doch stimmt alles, was sich Land und Leute über den Mann mit den roten Haaren und grünen Augen erzählen? Wie viel von der Legende entspricht der Wahrheit und was fußt bloß auf Gerüchten? Dieser Frage geht der Chronist Devan Lochees nach, der den Totgeglaubten Kvothe ausfindig macht. Er willigt ein, dem Chronisten innerhalb von drei Tagen seine wahre Geschichte zu erzählen und schon bald lauscht auch Kvothes Schüler Bast der faszinierenden Erzählung seines Meisters.
Meinung:
Sobald ein Roman im Fantasygenre Leser und Kritiker gleichermaßen begeistert, wird oft ein Vergleich mit dem Urvater der modernen High-Fantasy gezogen. Im Fall von Patrick Rothfuss' „Der Name des Windes“ trifft der Vergleich mit Tolkiens „Herr der Ringe“-Epos durchaus zu. Beide Werke leben von ihrer wortstarken Bildgewalt, von erzählerischer Brillanz, dem Reichtum und der Einzigartigkeit ihrer Welten, die bis ins kleinste Detail beschrieben werden und in der der Held seine Abenteuer erlebt. Dabei wird nicht nur eine eigene Mythologie erschaffen, sondern auch Königreiche, Völker, Sitten, Bräuche und sogar ganze Sprachen.
„Der Name des Windes“ bildet den Auftakt der „Königsmörder“-Trilogie. Der Verdacht liegt nah, dass sich der Amerikaner Rothfuss dem in der Fantasy beliebt gewordenen Veröffentlichungsmuster bedient, Geschichten zu planen und zu verfassen, die mindestens drei Bände umfassen. Doch hat in seinem Fall die Bandzahl einen tieferen Sinn. Kvothe bietet dem Chronisten nur unter einer Bedingung an, ihm seine bisherige Lebensgeschichte zu erzählen: er braucht für dieses Unterfangen drei Tage – länger, als jede andere von Lochees befragte Person. Jeder Tag entspricht hierbei einem Band und umfasst mehrere Lebensjahre des immer noch jungen Helden. Zugleich ist dies ein Hinweis auf die verschiedenen Erzählebenen, die Rothfuss in seinem mehrfach preisgekrönten Erstlingswerk verwendet.
Zum einen spielt der Roman in der Gegenwart, in einem Land, das gezeichnet ist von Krieg, hohen Steuern und Ernteausfall. In einem kleinen Dorf hat sich Kvothe niedergelassen, der trotz seines noch jugendlichen Alters in der Rolle des Wirts Kote deutlich älter wirkt. Zusammen mit seinem Schüler und Gehilfen Bast leitet er dort ein Wirtshaus. Zeitgleich mit dem Chronisten tauchen auch Dämonen auf, die die Dorfbewohner bedrohen und gegen die nur ein legendärer Held etwas ausrichten könnte. Die Geschehnisse der Gegenwart werden als „Zwischenspiel“ in die Geschichte eingefügt und vermitteln die oftmals bedrückte Stimmung, die die Dorfbewohner schon seit einiger Zeit quält. Rothfuss gelingt es, die Aufmerksamkeit des Lesers nicht nur auf die Erzählung Kvothes zu fokussieren. Auch die Ereignisse im und um das Wirtshaus herum sind zentral und zeigen, wie sehr sich der Erzähler im Lauf der Jahre verändert hat und was noch übrig ist von dem Heroen, über den auch die Dorfbewohner Geschichten erzählen.
Die zweite Ebene bildet die Lebensgeschichte von Kvothe, die den Hauptteil des Romans ausmacht. In ihr erfahren die späteren Leser von Lochees Werk, wie die Kindheit der für tot geglaubten Legende ausgesehen hat. Seine frühen Jahre sind geprägt von der Erziehung seiner Eltern, die zum fahrenden Schauspielervolk der Edema Ruh gehörten, und seinem unstillbaren Wissensdurst. Nach der grausamen Ermordung seiner Familie und Freunde, irrt der Junge einige Jahre lang traumatisiert durchs Land, bis er an der legendären Universität aufgenommen wird. Hier erhofft er sich in der größten Bibliothek aller Länder, etwas über die Mörder seiner Eltern herauszufinden: die Chandrian – jene sagenumwobenen Dämonen, die jeder kennt, aber über die nur ungern jemand redet. Und natürlich bleibt hierbei genügend Platz für Freundschaft, Rivalität und die große Liebe eines universal begabten jungen Mannes, der innerhalb der Universität schneller aufsteigt als es einigen lieb ist.
Die dritte und letzte Ebene sind für Sagen und Lieder vorbehalten, die vor allem einen Einblick in die Religion und Mythologie der beschriebenen Welt geben. Oftmals dienen sie Kvothe als Anhaltspunkte auf seiner langen Suche nach den Chandrian. Zusammen mit dem ausgeklügelten Wirtschaftssystem und den Mentalitäten der einzelnen Völker, bekommt der Debütroman einen unglaublichen Detailreichtum, der die beschriebene Gesellschaft äußerst realistisch erscheinen lässt.
Rothfuss lässt Kvothe seine Geschichte mal ruhig, mal temporeich erzählen, beschreibt hierbei das Erzählte zu jeder Zeit spannend, geradezu fesselnd, und manchmal sogar herzzerreißend. Nur wenige werden sich dem mitreißenden Sog in diese aufregende Welt entziehen können. Kein Wunder, ist das Buch doch ein echter Pageturner und trotz seiner über 800 Seiten viel zu schnell ausgelesen. Somit hat sich Rothfuss selbst eine sehr hohe Messlatte für die Nachfolgebände gelegt, die er hoffentlich auch halten kann, damit die vielen Lobpreisungen für „Der Name des Windes“ keine Ausnahme bleiben.
Fazit:
Patrick Rothfuss' „Der Name des Windes“ gilt zu Recht schon jetzt als moderner Klassiker der Fantasy-Literatur. Der erste Band der Trilogie bietet alles, was eine Geschichte von epischen Ausmaßen benötigt: einen faszinierenden und jungen, tragischen Helden, die Frau in seinem Leben, eine einzigartige Welt mit all ihren Bewohnern, Bräuchen und Mythologie. Und nicht zuletzt die Fragen, auf die der junge Heron Antworten sucht, um das schrecklichste Ereignis zu verstehen, das seine Kindheit so abrupt enden lies. Äußerst Lesenswert!
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Patrick Rothfuss
Der Name des Windes
The Name of the Wind
Übersetzer: Jochen Schwarzer, Hans-Ulrich Möhring
Erscheinungsjahr: 2008
Autor der Besprechung:
Sonja Stöhr
Verlag:
Klett-Cotta
Preis: € 24,95
ISBN: 978-3608938159
863 Seiten
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