Flusswelt 01: Die Flusswelt der Zeit
Story:
Er ist gestorben. Aber nichtsdestoweniger findet sich Sir Richard Francis Burton an den Ufern eines breiten Flusses wieder, verjüngt, nackt und ohne ein Haar am Körper. Und er ist nicht allein, bei weitem nicht: Offenbar wurden sämtliche Menschen, die seit dem Anbeginn der Art bis zum Jahre 2008 auf der Erde lebten, wiedererweckt. Aber von wem und zu welchem Zweck?
Schnell wird Burton zum Anführer einer kleinen Gruppe. Sie versuchen, sich in der neuen Welt, in die sie geworfen wurden, einzurichten, und ihre Rätsel zu lösen.
Meinung:
Der amerikanische Autor Philip José Farmer hat mehr als siebzig Science Fiction- und Fantasy-Romane sowie über 100 Kurzgeschichten geschrieben. Zu seinen bekanntesten Werken gehören seine Romanzyklen, insbesondere "Die Welt der tausend Ebenen" und die "Flusswelt". Den Anfang der letztgenannten bildet dieser Roman. Im Laufe seiner über sechzig Jahre umfassenden Karriere als Schriftsteller wurde Farmer mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er drei Mal den renommierten Hugo Award, davon einmal für diesen Roman, und wurde drei weitere Male nominiert. Im Jahr 2000 erhielt er den Damon Knight Memorial Grand Master Award (der zwar offiziell kein Teil der Nebula Awards ist, aber während der gleichen Veranstaltung verliehen wird) für sein Lebenswerk.
In Farmers Geschichten findet man vor allem drei Elemente immer wieder: Sex, der durchaus mal ins Pornographische reicht, Religion und die Mischung realer und fiktionaler Personen als Charaktere. Die ersten beiden Aspekte tauchen in "Die Flusswelt der Zeit" zwar auf, spielen aber eine eher untergeordnete Rolle. Die Idee, alle Menschen, die je gelebt haben, gemeinsam wieder auferstehen zu lassen, bietet dem Autor jedoch die Möglichkeit, "echte" Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern, Kulturen und Epochen miteinander sowie mit Figuren interagieren zu lassen, die vollständig Farmers Fantasie entsprungen sind. So trifft Sir Richard Francis Burton unter anderem auf Alice Liddell, die das Vorbild für eine berühmte Romanfigur war, oder auf Hermann Göring. Fiktive Charaktere sind etwa der Urmensch Kazz oder der Science Fiction-Autor Peter J. Frigate (weder sein Beruf noch seine Initialen sind zufällig).
Diese und andere Figuren benutzt der Autor dazu, sich Gedanken über die verschiedensten Themen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens zu machen. In erster Linie jedoch lässt er sie Abenteuer erleben. Bereits kurz nachdem die Menschen in der Flusswelt erwacht sind, beginnen die ersten Streitigkeiten, es bilden sich Gruppen und Fraktionen, und es fließt auch Blut. Da ist es gut, dass die kleine Gruppe, die der Leser begleitet, Sir Richard Francis Burton hat. Ihn schildert Farmer schon fast über-perfekt: Er spricht mehrere Dutzend Sprachen, kann ebenso Gesteine wie Flechten mal eben mit dem korrekten wissenschaftlichen Namen benennen und mit den verschiedensten Waffen umgehen, und in gefährlichen Situationen bleibt er selbstverständlich ruhig und erweist sich als brillianter Stratege. Als beispielsweise direkt nachdem sie wieder zu Bewußtsein gekommen sind, alle Menschen in seiner Umgebung vor Panik und Verwirrung einen hysterischen Anfall bekommen, ist Burton der einzige, der seine Sinne beisammen behält.
Es sei dem Autor zugestanden, dass er sich ein mehr als geeignetes Vorbild für seinen Hauptdarsteller gewählt hat: Der historische Sir Richard war ein britischer Forscher, Übersetzer, Autor, Soldat, Orientalist, Ethnologe, Spion, Linguist, Dichter und Diplomat im neunzehnten Jahrhundert. Er soll 29 europäische, asiatische und afrikanische Sprachen gesprochen haben. Bekannt wurde er unter anderem für seine Pilgerreise nach Mekka – als erster Europäer, obwohl die Teilnahme Nichtmuslimen verboten war – sowie für seine Übersetzungen der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und des Kama Sutras ins Englische. Trotzdem wirkt es manchmal etwas komisch, wenn sich der Burton im Roman von nichts wirklich beeindrucken lässt, praktisch immer an alles denkt und jeder Situation gewachsen ist.
Im Mittelpunkt steht aber das Abenteuer, und hier liefert Farmer wirklich gute Arbeit ab. Der Leser folgt der Gruppe um Burton gerne auf ihrem Weg, der so manche Gefahren bereithält. Um die Spannung aufrecht zu erhalten, bedient sich der Autor nicht zuletzt eines besonderen Kniffs: Er erzählt nur, wenn es auch etwas zu erzählen gibt. Weniger wichtige Perioden, die Wochen, Monate, manchmal Jahre umfassen können, werden kurz und knapp abgehandelt, bevor die Abenteuer weitergehen.
Die Flusswelt wurde schon diverse Male auf Deutsch veröffentlicht, zur Zeit erscheint der Zyklus im Piper Verlag. Diese Ausgabe enthält neben dem eigentlichen Roman die Novelle "Auf dem Fluss", die im gleichen Universum angesiedelt ist. Hier ist der amerikanische Schauspieler Tom Mix, einer der ersten Stars des Western, die Hauptfigur.
Fazit:
Im ersten Band seines Flusswelt-Zyklus beginnt Philip José Farmer eine spannende Abenteuergeschichte, in der die Lieblingsthemen des Autors in unterschiedlichem Maße eine Rolle spielen. Die beinahe Omnipotenz des Protagonisten dürfte einem gelegentlich ein spöttisches Lächeln auf die Lippen treiben.
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Philip José Farmer
Flusswelt 01: Die Flusswelt der Zeit
To Your Scattered Bodies Go
Übersetzer: Ronald M. Hahn
Erscheinungsjahr: 2008
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Piper
Preis: € 8,95
ISBN: 978-3492266574
351 Seiten
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