Von kommenden Tagen
Story:
Zu Beginn des 22. Jahrhunderts ist es üblich, einen Hypnotiseur einzuschalten, wenn man Probleme hat. Um seine Tochter Elizabeth von der Heirat mit dem romantisch veranlagten Denton abzubringen, mit dem sie die neben der obsoleten romantischen Gesinnung eine nostalgische Begeisterung gemeinsam hat, will ihr Vater Mr. Morris seine Tochter hypnotisieren lassen.
Die beiden Geschichtsfanatiker heiraten trotzdem und versuchen ein einfaches, scheinbar idyllisches und authentisches Leben auf dem Land nachzuahmen. Desillusioniert kehren sie jedoch nach einem Zwischenfall in die Metropole London zurück. In dieser Megastadt führen sie aufgrund der Intrige eines einstig zurückgewiesenen Werbers von Elizabeth, ein hartes Leben, typisch dem, der Arbeitsschicht, mit all seinen Nebenerscheinungen. Selbst ihre unerschütterliche Liebe gerät ins Wanken.
Meinung:
In seiner Anti-Utopie „Von kommenden Tagen“ aus dem Jahr 1980 („The Shape of Things to Come“, 1933) skizziert Wells ein ideologisches Paar, das an der Realität scheitert. Ihr „Ausflug“ in die Vergangenheit endet mit einer Katastrophe. Die Menschen in der Zukunft erscheinen in Wells‘ Roman denaturiert und unfähig, einen Alltag in der Wildnis zu meistern. So müssen sich die „Träumer“ Denton und Elizabeth mit dem rohen und harten Alltagsleben einer Arbeiterfamilie auseinandersetzen. Hier ist Wells ganz Sozialkritiker, der die miserablen und teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Unterschicht darlegt.
Darüber hinaus hat Wells eine Rahmengeschichte um das Buch gewoben, indem er davon ausgeht, „Von kommenden Tagen“ sei die von ihm zusammengetragene Version von authentischen Aufzeichnungen des Diplomaten Dr. Philip Raven. Der Diplomat soll angeblich Visionen von einem Geschichtsbuch gehabt haben, das erst im Jahr 2106 veröffentlicht werden würde. Wie bereits in „Die Insel des Dr. Moreau“ knüpft Wells damit an die Tradition der „Herausgeber-“ oder „Manuskriptfiktion“ an, die man unter anderem in Klassikern wie Cervantes „Don Quijote“, Defoes „Robinson Crusoe“ oder Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wieder findet. Durch diesen Kunstgriff kann Wells eine künftige Gesellschaftskonzeption entwerfen, die bei ihm dystopische Züge trägt.
In „Von kommenden Tagen“ schimmert, wie bereits in „Menschen, Göttern gleich“ Wells' Hoffnung auf eine funktionierende Weltregierung durch, die die Probleme der Menschheit erfolgreich meistert. Der britische Schriftsteller hat den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vorausgesagt. Allerdings hat er dessen Ende erst für die Sechziger Jahre fest gesetzt und als Grund dafür eine weltweite Seuche angegeben. Das Ergebnis wäre bei Wells eine gutmütige Diktatur („The Dictatorship of the Air“), die fortan eine neue Menschheit formen würde.
Der Gründervater der modernen Science-Fiction und Anti-Utopie beschreibt, lange vor dem Militär, in „Von kommenden Tagen“ Raketen, die von U-Booten abgefeuert werden können. Außerdem nahm Wells ebenso vorweg, dass die Verbindung von U-Boot und Massenvernichtungswaffen nicht konsequent angewendet würden. Vielmehr sah er in ihnen ein Mittel zur Abschreckung gegeben, wie es dann während des „Kalten Krieges“ dann tatsächlich lange Zeit auch war.
Fazit:
Ein spannendes Buch aus dem Spätwerk des britisches Science-Fiction Vaters. Wells beweist in „Von kommenden Tagen“ einmal mehr, was es heißt, visionäre Schöpfungskraft mit Wissenschaft, Sozialkritik und Unterhaltung zu verbinden.
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H. G. Wells
Von kommenden Tagen
The Shape of Things to Come
Übersetzer: Liesl Nürenberger-Körbler und Andreas Ch. Körbler
Erscheinungsjahr: 2005
Autor der Besprechung:
Marco Behringer
Verlag:
dtv
Preis: € 8,50
ISBN: 9783423132992
144 Seiten
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