Europa neu erfinden: Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie
Story:
Europa steckt in einer Krise. Es hat das Vertrauen der Bürger verloren. Doch was kann dagegen unternommen werden?
Meinung:
Vielerorts wird gerne auf Europa geschimpft. Die EU macht es einem aber auch einfach, in dem sie sich teilweise als bürokratische Behörde zeigt, die alles normen möchte. Was kann man dagegen machen? Roman Herzog versucht in "Europa neu zu erfinden: Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie" eine Antwort zu liefern.
Roman Herzog wurde 1934 in Landshut geboren. Er studierte 1953 Rechtswissenschaften in München, wo er die Staatsexamen ablegte. Er war von 1978 bis 1980 Kultusminister und danach bis 1983 Innenminister von Baden-Würtemberg. Von der Politik wechselte er anschließend zum Bundesverfassungsreicht, wo er bis 1994 als Richter arbeitete und ab 1987 bis zu seinem Austritt auch der Präsident war. Von 1994 bis 1999 war er der Siebente Bundespräsident Deutschlands. Während dieser Zeit wurde er vor allem durch seine "Ruck"-Rede berühmt, mit der er die Tradition der "Berliner Rede" begründete. Nach dem Ende seiner Amtszeit ist er vor allem als gefragte Kommentator aktueller politischer Entwicklungen unterwegs.
Es fällt einem heutzutage schwer, überzeugter Europäer zu sein. Zu sehr wird die EU herabgesetzt, zu sehr wirkt sie von den europäischen Staatschefs abhängig. Mauscheleine und Kungeleien scheinen an der Tagesordnung. Und dieses Bündnis soll man mögen?
Roman Herzog ist überzeugter Europäer. Er sieht die Schwächen, die die EU auszeichnet. Und er legt in seinem Buch "Europa neu erfinden" den Finger in die Wunde. In insgesamt sieben Kapiteln beschäftigt er sich deshalb mit der Thematik und versucht einen Weg aufzuzeigen, wie die Europäische Gemeinschaft wieder stärker werden kann.
Seine zentrale These lautet, dass für ein stärkeres Europa eine Abschwächung von Europa nötig ist. Er plädiert dafür, dass viele Kompetenzen, die im Laufe der Jahre nach Brüssel gewandert sind, wieder den Nationalstaaten zugeschlagen werden. Die EU soll sich, laut ihm, auf wenige Kernkompetenzen konzentrieren.
Seine Thesen trägt er klar vor, seine Argumente wirken einleuchtend. Selbst als politischer Laie kann man ihm folgen. Ebenso schafft er es, die komplexe Thematik so darzustellen, dass sie nachvollziehbar wird. Wer Schwierigkeiten hatte, dem institutionellen Wirrwarr der EU zu folgen, der wird nach dem Lesen dieses Bandes deutlich klarer sehen.
Doch liegt Roman Herzog mit seiner zentralen Aussage richtig? Liegt die Zukunft von Europa in weniger Europa? So klar die Argumente von Herrn Herzog auch sind, in diesem Fall liegt er falsch. Viele seiner Thesen und Vorschläge wirken weltfremd oder wurden inzwischen von der Realität überholt. So hat Europa erst vor kurzem eine erfolgreiche Wahl hinter sich, mit der der Wille des Bürgers stärker berücksichtigt wird. Auf diese, zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches noch ausstehende, Wahl wird ebenso wenig eingegangen, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar, wo die Drei Prozent-Hürde der Wahl gekippt wurde. Es wäre interessant, wie Herr Herzog besonders letzteres gefunden hätte, da dies der Zukunft Europas eher geschadet, als genutzt hätte.
Trotzdem ist das Buch gut zu lesen. Und trotz aller Kritik hat Roman Herzog mit einigen Argumenten recht. Deshalb "Reinschauen".
Fazit:
Roman Herzogs "Europa neu erfinden: Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie" ist ein gutes Buch. Der Autor stellt seine Thesen klar in den Mittelpunkt des Bandes, ebenso wie auch seine Argumente nachvollziehbar sind. Gleichzeitig macht er sich die Mühe, auch die Strukturen von Europa aufzudröseln. Selbst als politischer Laie, kann man das Buch verstehen. Allerdings wirken viele seiner Thesen weltfremd und sind längst von der Realität überholt worden. Auch ignoriert er einige Ereignisse, von denen es interessant gewesen wäre, was der ehemalige Bundespräsident davon gehalten hätte.
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