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Catch 22

Story:
Italien im Zweiten Weltkrieg. Eine Gruppe amerikanischer Bomberstaffeln fliegt von einer Insel im Mittelmeer Angriffe auf das Festland. Captain Yossarián ist Bombenschütze in einer der Maschinen. Eigentlich müsste er gar nicht mehr fliegen, denn die Zahl an erforderlichen Feindeinsätzen hat er längst erreicht. Aber der kommandierende Colonel will seinem General gefallen und verschiebt daher die Grenze wieder und wieder nach oben.

Um nicht mehr in den von Flakgranaten durchsiebten Himmel zu müssen, eingezwängt in seiner winzigen Kanzel in der B-25, vom rettenden Fallschirm getrennt durch einen langen, engen Kriechgang, bleibt Yossarián nur eine Chance: Er muss verrückt werden. Denn wer verrückt ist, kann von weiteren Feindflügen entbunden. Er muss nur einen entsprechenden Antrag stellen. Aber wer diesen Antrag stellt, beweist damit, dass er sich um sein Leben sorgt, kann also nicht verrückt sein und muss demzufolge weiterfliegen.

Dieser Haken, der sogenannte X-Haken oder "Catch 22", ist längst nicht das einzige Widersinnige in diesem Krieg. Und so versucht Yossarián, in all dem Wahnsinn um ihn herum Leben und Verstand zu bewahren. Denn ausgerechnet er, der so gerne verrückt wäre, ist anscheinend der einzige, der es nicht ist.

Meinung:
Stellt Euch vor es ist Krieg, es gehen auch alle hin, aber eigentlich sind andere Dinge wichtiger. Geschossen und gestorben wird natürlich trotzdem.

So könnte man die Situation beschreiben, in die Joseph Heller seinen Captain Yossarián jagt. Heller war während des Zweiten Weltkriegs selbst als Bombenschütze eines B-25-Bombers an der italienischen Front. Darüber, wie genau er seine damalige Einheit in "Catch 22" portraitiert hat, gibt es unterschiedliche Meinungen. Nach dem Krieg studierte der Autor Englisch in Kalifornien und New York und unterrichtete einige Jahre als Dozent, bevor er als Texter in die Werbung ging. 1953 fielen ihm aus heiterem Himmel die ersten Zeilen einer Geschichte ein, aus der später Catch 22 werden sollte. Diese Zeilen werden bis heute oft als einer der besten Romananfänge zitiert. 1955 veröffentlichte er das erste Kapitel in einer Anthologieserie. Bis der vollständige Roman erschien, sollte es noch sechs weitere Jahre dauern. Und die Geschichte dieser Veröffentlichung klingt an vielen Stellen selbst wie eine erdachte Geschichte.

Inzwischen ist Catch 22 fünfzig Jahre alt und gilt bis heute als einer der besten, wenn nicht der beste Kriegsroman der Literaturgeschichte. Der Titel des Romans ist längst als Ausdruck für einen Teufelskreis oder eine ausweglose Situation in den englischen Sprachgebrauch übernommen worden. Heller zeigt dabei den Wahnsinn des Krieges, indem er den Krieg fast völlig ausblendet. Niemand erobert irgendetwas, Kampfszenen sind sehr selten (und heroisch sind sie schon überhaupt nicht), und die Charaktere haben vieles im Kopf, nur eines mit Sicherheit nicht: Für Volk und Vaterland gegen den Faschismus zu streiten.

Stattdessen gehen sie ihren eigenen Interessen nach, die dem angeblich so wichtigen Großen und Ganzen oft konträr zuwiderlaufen. Und so logisch sich ihre Aktionen auch begründen lassen, wenn man einmal näher darüber nachdenkt, muss man eigentlich alle als total wahnsinnig betrachten. Der Messeoffizier Milo Minderbinder konzentriert sich darauf, ein weitverzweigtes Handelssyndikat mit Freund und Feind aufzubauen. Dabei vermietet er die Flugzeuge schon mal an die Deutschen und lässt sie die eigene Staffel bombardieren. Oder Minderbinder klaut den Fliegern die Fallschirme (für Seide kann er einen guten Preis erzielen), an deren Stelle er Anteilsscheine am Syndikat hinterlässt. Darüber freuen sich die Piloten, deren Flugzeug gerade abstürzt, bestimmt. Wenn er eine Gelegenheit für ein profitables Geschäft sieht, sie aber nicht nutzen kann, bereitet das Milo regelrecht körperliche Schmerzen.

Dok Daneeka ist zwar der Arzt der Staffel, aber seine Mitmenschen, ob krank oder nicht, sind ihm eigentlich ziemlich egal. Viel wichtiger ist doch, dass er, als er zum Kriegsdienst eingezogen wurde, seine gut laufenden Privatpraxis aufgeben musste. Dagegen sind Kriegsverletzungen und Psychosen doch eher Lappalien. Major Major Major hat seinen Namen einem nicht sehr gelungenen Scherz seines Vaters zu verdanken, als der seinem Sohn den Vornamen und Mittelnamen "Major" gab. Die Armee nahm das selbstverständlich zum Anlass, ihn in den Rang eines Majors zu befördern. Er heißt also nun Major Major Major Major. Als Major M. M. Major zum Kommandanten von Yossariáns Staffel befördert wird, schlagen seine Minderwertigkeitskomplexe voll durch, und er geht allen anderen mit allen Mitteln aus dem Weg. Er lässt sich strikt verleugnen, und falls trotzdem jemand in sein Büro kommt, flüchtet der Major durchs Fenster.

Die Generäle Peckem und Dreedle befassen sich vor allem mit ihrer Privatfehde gegeneinander. Das hält General Dreedle aber nicht davon ab, gelegentlich Yossariáns Staffel zu besuchen, damit Häuptling White Halfoat seinem ungeliebten Schwiegersohn, Colonel Moodus, die Nase brechen kann. Der Häuptling stammt aus einer Indianersippe, die eine besondere "Nase" für Ölquellen hat: Wo auch immer sie ihr Lager aufschlagen, wird kurze Zeit später Öl entdeckt, der weiße Mann jagt die Indianer weg und beutet die Vorräte aus. Hungry Joe verbringt seine Zeit damit, Frauen nackt zu fotografieren, oder nachts im Schlaf von Albträumen geschüttelt zu schreien. Er kann sich nie entscheiden, ob er mit den Frauen schlafen oder sie knipsen soll; deshalb wird weder das eine noch das andere etwas. Und seine Albträume treten vor allem dann auf, wenn er die jeweils aktuell notwendige Zahl an Feindflügen erfüllt hat. Denn Hungry Joe weiß aus Erfahrung, dass er nun mindestens so lange vergeblich auf den Marschbefehl in die Heimat warten muss, bis Colonel Cathcart die Grenze ein weiteres Mal heraufsetzt.

In dem all diesem Chaos haben Yossariáns Versuche, sich als verrückt darzustellen, keine ernsthafte Chance. Er versucht es trotzdem nach Kräften, aber "das System" scheint seine Bemühungen regelrecht zu sabotieren. Wenn er die Bombenlast seines Flugzeugs beispielsweise statt über dem geplanten Ziel über dem offenen Meer ablädt, wird er für den "besonders schönen Bombenteppich" auch noch belobigt. Und als er zur feierlichen Verleihung des dafür fälligen Ordens völlig nackt erscheint, dekoriert man ihn eben auf die blanke Brust.

Das klingt alles wahnsinnig lustig, und das ist es auch. Aber Catch 22 unterscheidet sich grundlegend von Komödien wie beispielsweise "Ein Käfig voller Helden", die mehr zufällig vor der Kulisse eines Kriegs spielen und in denen eigentlich nie jemand wirklich zu Schaden kommt. Der Krieg, wie ihn Joseph Heller schildert, ist alles andere als witzig. Der Humor in der Geschichte enthält viel Galle, Bitterkeit und Aberwitz. Yossarián wird gelegentlich mit Hašeks bravem Soldaten Schwejk verglichen. Aber während dieser sich mit List und Witz vor dem Kriegseinsatz drückt, sind Yossariáns Eskapaden eher ein verzweifelter Versuch, nicht im Strudel des Irrsinns unterzugehen.

So wirr die Aktionen der Charaktere sind, so verworren ist auch die Struktur des Romans. Die Geschichte springt nach Belieben auf der Zeitachse hin und her. Der Leser fühlt sich an Unterhaltungen erinnert, wie man sie mit Beteiligten an großen Ereignissen (längst nicht nur kriegerischen) führen kann und in denen man von einer Episode zur nächsten kommt. Eine klassische Struktur mit Anfang, Mittelteil und Ende gibt es nicht, und mancher Kritiker sah sich veranlasst, sogar zu bezweifeln, dass der Roman überhaupt geschrieben worden sei. Catch 22 wirke eher wie "auf das Papier geschrieen", wie sich eine nicht sehr positive Besprechung im "New Yorker" einmal ausdrückte. Sieht man jedoch genauer hin, erkennt man ein Bild, das wie von einem irrlichternden Scheinwerfer Stückchen für Stückchen, wenn auch nicht in der logischen Reihenfolge, ausgeleuchtet wird. Man könnte sagen, der ",stream of consciousness" fügt mal hier, mal dort ein Mosaiksteinchen hinzu, woraus am Ende fast überraschend ein kohärentes Muster entsteht.

Dieses Muster ist wenig schmeichelhaft für das Militär. Soldaten vom (Ex-)Gefreiten bis zum General, eigentlich das "System Militär" als solches, werden lächerlich, allerdings längst nicht harmlos dargestellt. Wer noch alten Mythen von Heroismus, Kriegsromantik oder dem Militär als "Schule der Nation" anhängt, könnte sich von Catch 22 auf die Zehen getreten fühlen. Das wäre aber vielleicht nicht das Verkehrteste. Ansonsten gilt, was Hans Magnus Enzensberger einmal über den Roman sagte: Hellers Geschichte sei "das aufrichtigste, also subversivste Buch über den Zweiten Weltkrieg, das ich kenne". Es wäre nicht verwunderlich, wenn es außerdem das beste wäre.

Fazit:
In einer wahnsinnigen Welt sucht der einzige Normale als verrückt zu gelten, um zu überleben. Joseph Hellers berühmter Antikriegsroman zeigt den Krieg von seiner lächerlichen, aber längst nicht harmlosen Seite. Hinter einer großzügigen Portion Humor verbirgt sich eine Wahrheit über den Krieg, die nie in Vergessenheit geraten darf. Was zunächst wie ein irrlichternder stream of consciousness wirkt, zeichnet schließlich ein klares Muster. Spätestens der fünfzigste Jahrestag von Catch 22 sollte ein Anlass sein, das Buch (wieder) zu lesen.

Catch 22 - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Joseph Heller
Catch 22
Catch 22

Übersetzer: Irene und Günther Danehl
Erscheinungsjahr: 2011 (Neuauflage zum fünfzigjährigen Jubiläum der Erstveröffentlichung)



Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck

Verlag:
Fischer Taschenbuch Verlag

Preis:
€ 9,95

ISBN:
978-3-596-12572-2

592 Seiten
Positiv aufgefallen
  • Catch 22 zeigt den Krieg und die Menschen, die ihn führen, so wie sie wirklich sind
  • Viel Humor, hinter dem sich noch mehr Substanz verbirgt
Negativ aufgefallen
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Rezension vom: 11.11.2011
Kategorie: Allgemeine Belletristik
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