Die Farben der Traumzeit
Story:
Zwei Anthropologinnen bringen dem Leser die Kunst der australischen Ureinwohner, der Aborigines, nahe. Die Mythen, Gesänge, Tänze und vor allem Malereien sind nicht "nur" Kunst, sondern haben eine wichtige kulturelle Funktion. Barbara Glowczewski und Jessica De Largy Healy versuchen gemeinsam mit Künstlern aus Lajamanu und Galiwin'ku, beides gelegen im Northern Territory, diese Vorstellungswelt für Europäer nachvollziehbar zu machen.
Meinung:
Dieses Buch macht seinem Titel alle Ehre. Nimmt man "Die Farben der Traumzeit" in die Hand, fallen sofort die Farben auf. Auf vielen großformatigen Abbildungen sind Malereien der Ureinwohner zu sehen, die mit ihren strahlenden, warmen Tönen das Auge regelrecht gefangen nehmen. Prominent sind vor allem Erdfarben wie Braun, Rot, Schwarz oder Gelb, aber auch Weiß- und Blautöne.
Aber die Autorinnen zeigen nicht einfach Bild um Bild, sondern sie versuchen zu erklären, was sich hinter den für das ungeschulte Auge rein abstrakt wirkenden Motiven verbirgt. "Versuchen" deshalb, weil die Vorstellung der Dreamings (mit Begriffen wie "Traum" oder "Traumzeit" nur bedingt ins Deutsche übersetzbar) unserem Kulturkreis einfach sehr fremd ist. Dreamings sind einerseits die Erinnerungen an die legendäre Zeit, als Ahnwesen wie die Regenbogenschlange, die Windbrüder oder die Känguruhmenschen über die Erde wandelten und der Landschaft mit ihren Wanderungen ihre Form gaben. Auf der anderen Seite ist dieser Schöpfungsprozess nicht in ferner Vergangenheit abgeschlossen, sondern die Dreamings sind in Menschen, Tieren, Pflanzen, aber auch in Naturereignissen wie dem Regen verkörpert und bis heute erfahrbar.
Eine Verbindung zu diesen schöpferisch-heiligen Dimensionen bieten die Malereien, in denen mittels eines Codes die Wanderungen der Ahnwesen wiedergegeben und an kommende Generationen übermittelt werden. Eine ähnliche Funktion haben die "songlines" genannten Liederzyklen. Mit Hilfe dieser gelebten Erinnerung, so die Vorstellung der Aborigines, nehmen sie im Schlaf Kontakt mit den Dreamings auf. Diese Muster und Formen sind teils seit der Urzeit überliefert, werden auf der anderen Seite aber ständig verändert und neu geschaffen.
Man sieht, es ist für einen "Westler" nicht einfach, in die Vorstellungswelt der australischen Ureinwohner vorzudringen. Hinzu kommt, dass es nicht "die Aborigines" gibt, sondern unterschiedliche Stämme und Gruppen auch unterschiedliche Vorstellungen haben. Auf fast 170 Seiten geben sich die Autorinnen erkennbar alle Mühe, die Annäherung zu erleichtern. Die Spannbreite der Kapitel reicht von "Wachsen und Werden" über "Tauschen und Handeln" bis "Versöhnung" oder "Wiedergeburt".
Auch über die vielen Abbildungen hinaus bietet das Buch einen erfreulichen Anblick. Bei der Buchgestaltung hat man sich so einiges einfallen lassen. Etwa sind Einleitungen, Zwischenüberschriften und ähnliche Elemente in einer gut ausgewählten Schriftart gedruckt. Der eigentliche Text bleibt jedoch in einer klassischen Serifen-Schriftart, was das Lesen erleichtert. Immer wieder lassen die Autorinnen auch Ureinwohner direkt zu Wort kommen. Erzählen sie über verschiedene Dreamings, sind die Kanten der Textblöcke nicht immer einfach senkrecht, sondern schlagen regelrechte Wellen. Und auf vielen Seiten finden sich Linien, die an die für das Thema so wichtigen Spuren erinnern.
In diesen unterschiedlichen Aspekten wird jedoch auch das größte Manko des Buches deutlich: Es will von allem ein bisschen sein und ist dann nichts so richtig. Für eine Einführung in die Welt der Aborigines dringen die Autorinnen zu tief in die Materie ein – wobei fraglich ist, ob eine stärkere Vereinfachung dem Thema hätte gerecht werden können. Auf der anderen Seite lenkt die opulente optische Gestaltung vom Text ab und zeigt, dass man kein reines Fachbuch im Sinn hatte. Für einen Bildband, der einfach "nur" schöne Abbildungen präsentiert, enthält das Buch schlicht viel zu viel Text.
Wer sich für die Kultur(en) der Aborigines interessiert, könnte sicher größere Fehler machen als dieses Buch zu kaufen. Auch wer sich bereits mit dem Thema beschäftigt hat, dürfte Neues erfahren. Optisch sind die "Farben der Traumzeit" sowieso ein Erlebnis. Aber an vielen Stellen wird dem Leser die letzte Befriedigung versagt; der Band eignet sich so vor allem als Ausgangspunkt für weitere literarische Streifzüge oder als Ergänzung anderer Werke zum Thema.
Fazit:
"Die Farben der Traumzeit" befasst sich mit einem Thema, das den meisten Europäern erst einmal fremd sein dürfte: Der Kunst der australischen Ureinwohner und der Bedeutung, die Malereien, Gesänge, Tänze und so weiter für die Kultur, insbesondere die Vorstellung der "Dreamings" haben. Dabei kann das Buch auf vielen Gebieten Pluspunkte sammeln, vom Text über die gelungene optische Gestaltung bis zu den vielen, das Auge fesselnden Abbildungen. Aber damit tanzen die Autorinnen auf zu vielen Hochzeiten, und so kann das Buch bei keinem der Aspekte vollständig überzeugen. Für am Thema Interessierte sicher eine gute Wahl, jedoch wird der Leser an vielen Stellen andere Werke zur Ergänzung und Vertiefung heranziehen wollen.
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Barbara Glowczweski, Jessica De Largy Healy und die Künstler aus Lajamanu und Galiwin'ku
Die Farben der Traumzeit
Pistes des Rêves - Voyage en Terres Aborigènes
Übersetzer: Marianne Glaßer
Erscheinungsjahr: 2006
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Frederking & Thaler
ISBN: 3-89405-667-3
168 Seiten
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