Im Brunnen der Manuskripte
Story:
Am Ende der Abenteuer "In einem anderen Buch" hatte sich Thursday Next, schwanger und noch immer ohne ihren genichteten Ehemann Landen, erst einmal ein Refugium gesucht. In einem drittklassigen, noch unveröffentlichten Krimi im "Brunnen der Manuskripte" hoffte sie, wenigstens für ein Jahr von ihren diversen Problemen und Feinden aus der realen Welt verschont zu bleiben.
Aber Thursdays Urlaubsvertretung für eine der Figuren aus dem Krimi verläuft bei weitem nicht so ereignislos wie erwartet. Dass ihre neue Heimstatt wegen mangelnder Qualität ständig von Abriß und Recycling des Rohmaterials bedroht ist, gehört dabei noch zu den kleineren Hürden. Denn hinter dem scheinbar autarken Schöpfungsakt eines Autors steckt in der BuchWelt, genauer im "Brunnen der Manuskripte", ein gewaltiger Aufwand. Aus den Wörtern aus der TextSee werden Sätze, Abschnitte und Kapitel konstruiert, Plottschmiede, Stimmungsmischer oder Orthographieprüfer tun ihre Arbeit. Für die Figuren gibt es eigene Lehrinstitute, die undefinierte Rohlinge zu den benötigten Charakteren ausbilden.
Auch Thursdays Ausbildung bei der Jurisfiktion, der Einsatztruppe bei Problemen und Verbrechen in Büchern, sorgt für nicht wenig Aufregung. Das beginnt bei der Korrektur kleinerer Logikfehler in der Handlung eines Romans, geht über psychotherapeutische Wutberatungssitzungen in "Wuthering Heights" oder das Füttern gefährlicher mythologischer Wesen in ihren Reservaten bis zum Kampf gegen Terroristen, die ihre Vorstellungen von guter Literatur mit dem Maschinengewehr durchsetzen möchten.
Außerdem steht immer noch die Anklage wegen der Veränderung des Schlusses von "Jane Eyre" im Raum, und einer von Thursdays realen Widersachern hat sich auf ganz perfide Art mit an ihren Rückzugsort geschmuggelt. Und dann ist da noch die Einführung eines neuen Betriebssystems für die Bücher, das die BuchWelt mindestens so sehr verändern soll wie seinerzeit die Abkehr von den Schriftrollen. Aber nicht alle sind vom neuen UltraWord begeistert...
Meinung:
Das Konzept der Jurisfiktion, eingeführt im zweiten Band, versprach einen reichen Fundus an Geschichten und Abenteuer für Thursday Next. Das bewahrheitet sich in diesem Roman – und was für Abenteuer sind es geworden. Auch wenn "Im Brunnen der Manuskripte" fast ausschließlich eben dort spielt und nicht in Thursdays realer Welt, braucht sich der Band keinesfalls hinter seinen Vorgängern zu verstecken, was skurrile, witzige und intelligente Ideen angeht.
Zu den Auszubildenden bei der Jurisfiktion gehört ein größenwahnsinniger Weltraum-Imperator aus einer Science-Fiction-Serie. Plotversatzstücke werden gehandelt wie auf dem Bazar. Vor zu dichtem Kontakt mit dem Mispeling Vyrus, der gefährliche und ansteckende Schreibfehler verursacht, schützt eine Karotte: Fängt die Wurzel an zu singen ("Karotte" → "Pavarotti"), sollte man sich schnellstmöglich in Sicherheit bringen. Und die BuchWelt-Preise mit mehren hundert Kategorien sind alljährlich das Ereignis in der gesamten BuchWelt. Während ihrer Verleihung sind die Romane nur mit halbausgebildeten Rohlingen als Notbesatzung ausgestattet, und wer berühmte Klassiker gerade zu diesem Zeitpunkt liest, riskiert eine herbe Enttäuschung.
Eine nette Idee sind auch die "Werbeseiten" am Ende des Bands, wo üblicherweise andere Bücher des Verlages angepriesen werden. Hier versucht die Jurisfiktion, neue Agenten zu rekrutieren, ein Fahndungsplakat warnt vor dem ausgebrochenen Minotaurus, und Rhett und Scarlett bewerben Ferien auf Tara.
Gleichzeitig sind besonders Thursdays Auseinandersetzungen, sagen wir (um nicht zu viel zu verraten), in ihr selbst sowie das große Finale ausgesprochen spannend. Über weite Strecken fällt es schwer, einen roten Faden zu erkennen: Thursday hangelt sich in ihrer Ausbildung von Problem zu Problem, dazwischen muss sie sich mit den Sorgen und Nöten im Alltag in ihrem Feriendomizil herumschlagen. Aber nach und nach kristallisiert sich heraus, das Fforde nichts dem Zufall überlassen hat. Jedes Abenteuer, das die Jurisfiktion-Schülerin während ihrer Ausbildung zu absolvieren hat, spielt bei der Auflösung am Ende eine Rolle. Und diese Auflösung ist atemberaubend.
Der potentielle Leser sei gewarnt: Man sollte in diesem Buch nicht noch mal schnell ein paar Seiten vor dem Schlafengehen lesen. Die Gefahr ist groß, dass es nicht bei ein paar Seiten bleibt, und es beim nächsten Blick auf die Uhr halb vier Uhr morgens ist. Für das daraus resultierende Schlafdefizit haben wohl nur diejenigen Lehrer, Arbeitgeber und sonstige Spielverderber Verständnis, die selbst Fans der Romane von Jasper Fforde sind.
Anmerkung: Die aktuelle deutsche Ausgabe basiert auf Wunsch des Autors auf der amerikanischen Fassung, die sich an einigen Stellen von der originalen, britischen Version unterscheidet.
Fazit:
Auch im dritten Band gehen die Abenteuer von Thursday Next in gewohnter Qualität weiter. Für alle Fans von Jasper Fforde sowieso obligatorisch, alle anderen sollten zunächst die ersten beiden Bände lesen. Dann diesen. Und dann den vierten, und alle folgenden, die dtv hoffentlich bald nach Deutschland holen wird.
|  |
Jasper Fforde
Im Brunnen der Manuskripte
The Well of Lost Plots
Übersetzer: Joachim Stern
Erscheinungsjahr: 2008
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
dtv
Preis: € 8,95
ISBN: 978-3423210492
411 Seiten
|