Die Pilgerin
Story:
In dem Roman "Die Pilgerin" von Iny Lorentz wird die Geschichte einer Pilgerfahrt von Deutschland bis nach Santiago de Compostela beschrieben. Ottilie Willinger wächst als Tochter eines geachteten Kaufmann in der Reichstadt Tremmlingen auf. Vom kränkelnden Vater wurde sie Damian, dem Sohn des Bürgermeisters, versprochen. Ottilie, genannt Tilla, weiß genau, wie ihr zukünftiges Leben aussehen wird, und auch wenn sie ihn nicht liebt, so freut sie sich doch auf das Leben an der Seite eines Mannes, den sie achten und respektieren kann.
Doch dann stirbt ihr Vater und ihr Bruder Otfried wird zu ihrem Vormund. Otfried missachtet die Wünsche des Vaters, verweigert die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, um dort das Herz des alten Willinger zu beerdigen, was der letzte Wunsch des Vaters war, und verheiratet die Schwester mit seinem Freund und Geschäftspartner Veit Gürtler. An diesen gewalttätigen und intriganten Mann gebunden, erwartet Tilla nur ein Leben als geschändete Ehefrau. Doch Veit Gürtler verstirbt in der Hochzeitsnacht. Die junge Witwe kann nicht zurück in ihr Elternhaus und auch im Haus ihres verstorbenen Mannes ist sie nicht willkommen. So entwendet sie heimlich das Herz ihres Vaters aus der Obhut ihres Bruders und macht sich, als Junge verkleidet, auf die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela.
Meinung:
In "Die Pilgerin" benutzt Iny Lorentz ein für historische Romane altvertrautes Prinzip. Man nehme eine Portion historische Tatsachen, bastele sich nach dem Vorbild einer realen Stadt (in diesem Fall Wörth, heute als Donauwörth bekannt) einen fiktiven Ort und mische noch eine kräftige Prise Liebe hinzu. Die Erzählung um die Kaufmannstocher Tilla Willinger ist in dieser Beziehung nicht neu, aber erfrischend und gut lesbar geschrieben.
Auf der einen Seite erlebt der Leser die Geschehnisse rund um Tilla, die, gegen ihren Willen verheiratet, noch in der Hochzeitsnacht zur Witwe wird. Doch nun nimmt sie sich die Freiheit, den letzten Wunsch ihres Vaters zu erfüllen und die Pilgerfahrt auf dem Jakobsweg anzutreten. Nicht ohne Furcht verkleidet sie sich als Junge, wird dies doch von der Kirche als schlimmes Vergehen angesehen. Aber eine Wahl hat sie nicht, wenn sie denn als Frau überhaupt eine Chance haben will, in eine Pilgergruppe aufgenommen zu werden und auf der Reise so geschützt wie möglich zu sein.
Der Weg nach Santiago de Compostela ist weit und beschwerlich und Tilla schließt sich den Mitgliedern ihrer Pilgergruppe immer enger an. Nur als funktionierende und fürsorgliche Gemeinschaft können diese zwölf Menschen die Pilgerfahrt überstehen. Doch während sich Tilla in ihrer Gruppe immer sicherer fühlt, wird ihre Umgebung umso gefährlicher. Die Pilger wandern durch fremdes Gebiet, voller Räuber, lokaler Gemetzel und Kriege. Die Pilgerfahrt darf aber nicht abgebrochen werden, und so muss ein Weg durch die Gefahren gefunden werden.
Auf der anderen Seite steht auch in Tillas Heimatstadt Tremmlingen der Frieden auf dem Spiel. Die Bayern schielen schon lange begehrlich nach der kleinen, aber wohlhabenden Reichsstadt. Die Intrigen, die Otfried Willinger und der verstorbene Veit Gürtler, begonnen haben, endeten nicht mit dem Tod von Tillas Ehemann. Nun steht Otfried an der Spitze der Verschwörer und schart immer mehr Anhänger um sich, während Tillas ehemaliger Verlobter Damian und sein Vater, der Bürgermeister, nur noch fassungslos zusehen können, wie Freiheit und Recht in der kleine Stadt in Gefahr geraten.
Iny Lorentz hat es geschafft die Beschwernisse und Gefahren auf einer Pilgerfahrt, das Leben der Frauen im 14. Jahrhundert und auch die lokalpolitischen Probleme einer kleinen Reichsstadt in einem unterhaltsamen und in dieser Beziehung überzeugenden Roman zu verbinden. Doch leider mangelt es der Geschichte ein wenig an Spannung. Trotz all der Geschehnisse auf der Pilgerfahrt, den Übergriffen durch Plünderern, der Kriege auf ihrem Weg und der Gefahren, die durch das enge Beieinander von fast Fremden entstehen, hat man doch nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass Tilla und ihre Mission ernstlich vor dem Scheitern ständen. Da werden Vergewaltigungen weggesteckt, für Verletzte findet sich gleich ein geheimnisvolles Dorf mit mildtätigen Bewohnern, die sich der Fremden annehmen, und anscheinend macht eine Pilgerfahrt aus einem primitiven Mörder ein Lämmchen.
Auch das Thema Geschlechtverkehr ist ein wenig zu sehr zum Schwerpunkt einiger Charaktere geworden. Natürlich gehört Sex zum Leben dazu, aber trotzdem ist es nicht nötig, in jedes Kapitel eine Vergewaltigung oder ähnliche Szenen einzubauen. Da werden die gebildetsten Männer zu hirnlosen Idioten, wenn ein Fräulein mit ihrem Busen wackelt, und natürlich muss man es als gegeben ansehen, dass jeder Mann nur über sein Geschlechtsteil gesteuert wird. Auch wenn es wahrscheinlich der Versuch war, ein realistisches Bild von der Gesellschaft des 14. Jahrhunderts zu zeigen, ist das dann doch ein bisschen zu viel des Guten.
Fazit:
"Die Pilgerin" von Iny Lorentz ist ein unterhaltsamer Roman, der trotz einiger Schwächen und der fehlenden Spannung für so manch kurzweilige Stunde sorgt. Zuviel Tiefgang darf man sich dabei nicht erwarten, auch wenn die Schilderung der Gefahren einer Pilgerfahrt oder die politischen Verwicklungen und Intrigen im Adel oder gar rund um eine Reichsstadt zu dieser Zeit sehr interessant und informativ sind. "Die Pilgerin" ist eine gute Empfehlung für den Urlaub, wenn man denn sein Reisegepäck mit einem 700-Seiten-Buch belasten mag.
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Iny Lorentz
Die Pilgerin
Erscheinungsjahr: 2006
Autor der Besprechung:
Konstanze Tants
Verlag:
Knaur
Preis: € 16,90
ISBN: 978-3-426-66249-6
702 Seiten
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