Letzte Reise
Story:
Anna Enquist beschreibt in ihrem Buch "Letzte Reise" das Leben der Elisabeth Cook, Ehefrau des berühmten Kapitäns James Cook. Während James Cook auf jahrelangen Reisen für den englischen König die Welt erkundet und kartografiert, bleibt seine Frau mit den Kindern zuhause und führt ein selbständiges Leben ohne den Mann, der ihr im Laufe der Zeit immer fremder zu werden scheint. Elisabeths größte Hoffnung ist sein Versprechen, nach seiner zweiten Weltreise zuhause zu bleiben, bürokratische Aufgaben zu übernehmen und für sie und die Kinder da zu sein.
Meinung:
Für den Roman "Letzte Reise" hat Anna Enquist zehn Jahre recherchiert und das ist dem Buch auch anzumerken. Basierend auf vielen Briefen, Tagebüchern und anderen Zeugnissen dieser Zeit, erweckt die Autorin Elisabeth Cook zum Leben. Natürlich hat sie sich auch die Freiheit erlaubt, Personen zu erfinden, aber das hat sie so geschickt gemacht, dass die bekannten Fakten nicht verfälscht wurden. Und so entsteht ein sensibles Porträt einer selbstbewussten und, für ihre Zeit, sehr selbständigen Frau, die doch fast an ihrem einsamen Leben zerbricht.
Es ist spannend, über die Hintergründe dieser gewagten Expeditionen in unbekannte Gefilde zu lesen und die Ideen, Hoffnungen und Organisation, die hinter diesen Reisen stehen, mit vielen kleinen persönlichen Details vor Augen geführt zu bekommen, was Seefahrt zu viktorianischer Zeit eigentlich für die Besatzung bedeutete, die Gefahren, die auf so langen Reisen lauerten und somit auch auf der anderen Seite die Ängste und Befürchtungen der Familien, die in England verblieben, mitzuerleben.
Denn die zurückbleibenden Angehörigen können nur im Kindesalter das Ganze als reines aufregendes Abenteuer sehen, welches Ruhm und Geld einbringt und nichts anderes zu sein scheint als die Erfüllung eines großen Traums. Den erwachsenen Familienmitgliedern ist bewusst, dass jedes Stückchen dieser Reise unabwägbare Gefahren in sich birgt und dass die Wahrscheinlichkeit, dass der geliebte Mensch nicht zurückkommt, sehr hoch ist. Und während man sich mit diesen Ängsten herumschlägt, finden Geburten und Begräbnisse statt, die alleine bewältigt werden müssen.
Wie es wohl für Elisabeth Cook war, die sieben Kinder gebar und die meisten davon im Kindesalter begraben musste, beschreibt Anna Enquist sehr einfühlsam. Der Leser erlebt die Hoffnung auf ein Leben als intakte Familie nach der letzten Reise des Kapitäns, die mit jeder Schwangerschaft einhergeht, aber auch die Verzweiflung, wenn Elisabeth nach dem Tod eines Kindes allein mit diesem Verlust fertig werden muss. Und nicht allein die Trauer ist zu verkraften, auch die Frage, was James Cook sagen wird, wenn er heimkehrt und statt eines Kindes nur ein Grab vorfindet.
Doch so lange Zeiten ohne den Ehemann führen die zurückgelassene Ehefrau auch in Versuchung. Es wäre so einfach, den Annäherungen anderer Männer nachzugeben und mal nicht allein zu sein und sich trösten und stützen zu lassen. Am Ende einer langen Reise kommt dann auch schon mal der Gedanke auf, dass das Leben ohne einen Ehemann, der nun wieder der Familie nach seinem Willen vorstehen will, manchmal fast einfacher ist.
Nach langer Ehe steht Elisabeth Cook da als wissbegierige, selbstbewusste und kritische Frau, die nach dem Tod ihres Mannes bei einer Entdeckungsreise alles daran setzt, die Umstände, die zu seinem Ableben geführt haben, aufzudecken. Da interessiert es sie nicht, dass sie und ihre Familie geschont werden sollen, dass vielleicht das Ansehen ihres Mannes oder gar der britischen Seefahrt beschmutzt werden könnte. Ihr geht es um die Wahrheit, und diese muss sie wissen, damit sie endlich Ruhe finden kann.
Einziges Manko dieses starken Romans ist leider der sehr schleppende Anfang. Vielleicht gerade weil die Autorin so viel über die Zeit und die handelnden Personen recherchiert hat, zieht sich die erste Hälfte des Buches sehr in die Länge und der Leser kämpft sich eher mühsam hindurch. Der zweite Teil ist sehr viel spannender und interessanter gestaltet, aber dafür entsteht hier und da der Eindruck, dass die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Szenen nicht so groß hätten sein müssen.
Fazit:
Anna Enquist schafft es mit ihrem Roman "Letzte Reise", ein sehr überzeugendes Porträt von Elisabeth Cook zu zeichnen. Auch wenn der Verstand dem Leser sagt, dass es nur eine auf Fakten basierende Fiktion ist, ist der Autorin die Darstellung dieser Frau so gelungen, dass man aus vollem Herzen beschwören möchte, dass Elisabeth Cook und ihr Leben genauso gewesen sein müssen. Leider muss man für den Anfang des Buches ein wenig Durchhaltevermögen mitbringen, aber dieses wird dann mit einer stimmigen, spannenden und bewegenden Geschichte belohnt, die den Leser Mitleben und mitleiden lässt.
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Anna Enquist
Letzte Reise
Thuiskomst
Übersetzer: Hanni Ehlers
Erscheinungsjahr: 2006
Autor der Besprechung:
Konstanze Tants
Verlag:
Luchterhand
Preis: € 21,95
ISBN: 978-3-630-87227-8
413 Seiten
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