Dreckstück
Story:
David und seine Clique sind das Sinnbild der Null-Bock-Generation: die Schule ist ihnen egal, zumeist langweilen sich die Jugendlichen aus reichem Haus. Als sie eines Tages gemeinsam den Unterricht schwänzen, läuft ihnen ein kleines, schwarzes Mädchen über den Weg, das offensichtlich Läuse hat. Mit dem Ziel sie zu entlausen, nehmen sie das Kind mit sich und bringen sie in die Wohnung eines der verwöhnten Jugendlichen. Dort läuft die Sache schnell aus dem Ruder, da sich aller Frust und Hass an dem Mädchen entlädt …
Meinung:
"Dreckstück" ist eine knapp 100-seitige Novelle von Clémentine Beauvais, die sich mit der aktuellen Flüchtlingsthematik und Fremdenhass beschäftigt. Aufgrund des geringen Umfangs ist das Buch ideal für den Schulunterricht geeignet, insbesondere da es viel Raum für Diskussionen lässt.
Der Klappentext verrät schon, in welche Richtung die Geschichte geht: Vorurteile, Fremdenhass und Gewalt gegen Ausländer. Aufgrund des geringen Umfangs sollte man allerdings keine tiefgründige und ausführliche Ausarbeitung des Themas erwarten - Clémentine Beauvais legt vielmehr ein beklemmendes Kammerspiel vor, dass aus Sicht des Jugendlichen David erzählt wird. Von den Grundzügen her erinnert der Roman ein wenig an "Nichts", geht jedoch in eine andere Richtung und endet bei weitem nicht so dramatisch und extrem, wie in dem Jugendbuch von Janne Teller. Dies fällt allerdings ein wenig negativ auf - so viel Raum, wie "Dreckstück" zum Spekulieren und diskutieren lässt, die Autorin kratzt bei den meisten Themen lediglich an der Oberfläche. Es fehlt der Tiefgang, eine bessere Ausarbeitung der Grundidee und der Figuren. So bleibt alles recht blass und farblos, denn man wird das Gefühl nicht los, dass das Buch recht schnell entstanden ist, um das aktuelle Flüchtlingsdrama aufzugreifen und in den Mittelpunkt zu rücken. Das ist natürlich nicht verkehrt - Bücher dieser Art sind wichtig, zumal sie zum Nachdenken anregen, aber ein wenig mehr Tiefgang wäre nicht verkehrt gewesen.
Auch gelingt es ihr nicht, den Leser wirklich aufzurütteln und zu fesseln, da das Buch einfach zu kurz und gerade das Ende zu schnell herbeigeführt war. Die Wahl, den Hauptcharakter mitten in der "Entlausungsaktion" aus der eigentlichen Handlung zu nehmen (und in eine andere Wohnung zu schicken), ist nicht sonderlich geschickt gewesen, da sie dem Ganzen den Schrecken nimmt und die Spannungskurve komplett unterbricht. Die Autorin nimmt David (und dem Leser) die Möglichkeit aktiv einzuschreiten und vielleicht Schlimmeres zu verhindern, denn von seinem Charakter her wäre eine solche Entwicklung nicht völlig undenkbar gewesen. Clémentine Beauvais hätte sogar die Diskrepanzen der Figuren besser herausarbeiten können (die am Ende angedeutet werden), wenn sich David gegen seine Clique gestellt hätte.
Die Charaktere sind allesamt weder sympathisch, noch bleiben sie dauerhaft in Erinnerung, was vor allem daran liegt, dass keiner der Jugendlichen ernsthaft etwas gegen die Ausschreitungen unternimmt, unter den das kleine Mädchen zu leiden hat. Der Ich-Erzähler David ist noch am sympathischsten, was aber nur daran liegt, dass man seine Gedanken kennt und weiß, wie er tickt. Die übrigen Figuren sind sehr unangenehm, leider aber auch sehr realistisch und authentisch. Innerhalb der wenigen Seiten zeigt sich, wie gefährlich die Gruppendynamik innerhalb einer Clique ist, wie schnell sich Schwächere der Meinung der Anführer beugen und ihr eigenes Gewissen zum Schweigen bringen, um dazuzugehören und zu gefallen.
Stilistisch ist "Dreckstück" nicht schlecht. Der lockere, schnörkellose Stil passt zu den Figuren, Davids Denkweise und der Geschichte. Dennoch gelingt es ihm nicht wirklich Gefühle zu vermitteln und die Dramatik der Novelle dem Leser wirklich nahe zu bringen. Dazu schreibt Clémentine Beauvais zu distanziert und alltäglich - man kann sich nur schwer in die Figuren hineinversetzen, ist nicht nah genug am Geschehen, um wirklich mitzufiebern. Aus diesem Grund gelingt es der Autorin nicht zu schockieren, was bei solch einer Thematik die beste Möglichkeit ist, um zum Nachdenken anzuregen. Sicherlich _ "Dreckstück" bietet genug Stoff zum Diskutieren und Nachdenken, doch letztendlich tun das auch die gängigen Nachrichten zum Thema Flüchtlinge und Fremdenhass.
Fazit:
"Dreckstück" ist eine Novelle, die sich mit einem aktuellen, sehr wichtigen Thema beschäftigt und durchaus Potenzial hatte die Leser aufzurütteln und zum Nachdenken zu animieren. Leider gelingt Clémentine Beauvais dies nur teilweise, da das Buch zu kurz ist, um dem Thema Fremdenhass und Flüchtlingsdrama die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Zu viel wir nur oberflächlich abgehandelt, der vermeintliche Höhepunkt wird nur aus der Distanz beschrieben und das Ende zu schnell herbeigeführt. Auch die Figuren bleiben recht blass und konturlos. Schade - die Thematik hätte man wesentlich besser und tiefgründiger ausarbeiten können, doch dafür hätte es weit mehr als 100 Seiten in Großdruck bedurft. So wirkt "Dreckstück" leider unausgegoren und zu schnell zu Papier gebracht, um das aktuelle Geschehen aufzugreifen.
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