Bobby Dollar 1: Die dunklen Gassen des Himmels
Story:
Das Leben für den Engel Doloriel alias Bobby Dollar könnte eigentlich ein ganz entspanntes sein. Seine Aufgabe ist es, nach dem Tod eines Menschen dessen positives Wirken hervorzuheben und so einen Richter davon zu überzeugen, dass eine weitere Seele den Weg in den Himmel finden soll. Die dämonische Gegenseite versucht natürlich ihrerseits die Seele zur Strafe für irdische Verfehlungen und Verbrechen in die Hölle zu versetzen. Zwischen Job und Kneipe könnte der Anwaltsengel ein unbeschwertes Leben nach dem Tod leben, wenn nicht die Seele eines Klienten plötzlich verschwinden und der Anwalt der Gegenseite ermordet würde. Bobby wird von beiden Seiten als Tatverdächtiger in Erwägung gezogen und muss nun seine Unschuld beweisen, um einen drohenden Krieg zwischen Himmel und Hölle zu verhindern.
Meinung:
Mit "The Dirty Streets of Heaven" legt der Kalifornier Tad Williams den Auftaktband zu einer neuen Trilogie vor, die sich um den Anwaltsengel Doloriel dreht. Der 2012 in den USA erschienene Fantasyroman wurde bereits ein knappes Jahr später von Williams deutschen Stammverlag Klett-Cotta übersetzt und auch der zweite Band, "Happy Hour in der Hölle", steht für den August bereits in den Startlöchern.
Wer beim Stichwort "Engel" an die vor einigen Jahren populären und oftmals seichten Fantasy-Erzählungen denkt, in der es hauptsächlich um romantische Verwicklungen vor einem paranormalen Hintergrund geht, ist eindeutig auf dem Holzweg. Schon ein kurzer Blick in den Prolog zeigt wohin die Reise geht: in bester Hollywood-Action Manier schießt sich Bobby Dollar ganz unengelhaft den Weg zu seinem Ziel frei und gibt seinen oftmals zynischen Humor zum Besten.
Den Leser erwartet auch auf den folgenden 562 Seiten ein spannender Thriller, der zugleich Williams erster Abstecher in die Urban Fantasy darstellt. Während er in der "Shadowmarch"-Reihe seinen Fans den Kontinent Eion näher brachte und im "Otherland"-Zyklus unsere nicht mehr ganz so ferne Zukunft schilderte, ist der Schauplatz von "Die dunklen Gassen des Himmels" das reale Kalifornien. In der fiktiven Stadt San Judas, die irgendwo an der San Francisco Bay angesiedelt ist und somit stellvertretend für den Golden State mit seinen amerikanischen Träumen und sündigen Abgründen steht, lebt und arbeitet Bobby, wenn er nicht gerade einen Abstecher zu seinen Vorgesetzten im Himmel macht.
Im Fokus der Geschichte steht eine der ältesten Fragen der Menschheit: Was geschieht mit der Seele nach dem Tod? Williams spielt mit den jüdisch-christlichen Vorstellungen und gibt vorerst nur einen zaghaften Einblick in das Leben nach dem Tod. In der Welt von Bobby Dollar gibt es einen Prozess, bei dem himmlische und höllische Anwälte um die Seele der Verstorbenen vor einem Richter kämpfen. Dieser Rechtsstreit ist das letzte übrig gebliebene Relikt aus einer Zeit, in der sich die Mächte des Himmels mit der der Finsternis um die Vorherrschaft auf der Erde stritten. Die Prozesse dienen gleichzeitig als Katalysator und halbwegs fairer Wettstreit zwischen den beiden Parteien, ohne das dabei die Weltbevölkerung in einen überirdischen Konflikt gezogen wird. An der Seite von Doloriel erhält der Leser einen Einblick in das himmlische Gottesreich, die mit seiner Tätigkeit verbundene Bürokratie und das Leben als Anwaltsengel auf der Erde. Während einige wenige wie er oder sein bester Freund Sam(ariel) zu einem Dienst im Auftrag des Herrn berufen werden, wartet auf die meisten anderen Bewohner der himmlischen Stadt ein Aufenthalt in der süßen Ewigkeit.
Die göttliche Stadt ist hierbei ein Phänomen für sich. Hier gibt es keine richtige Körper, sondern nur Präsenzen genannte Erscheinungen. Im Gegenzug gibt es einen harmonischen, strahlenden und endlosen Aufenthalt in einer an den Garten Eden erinnernden Welt. Wirklich Beschreiben kann Bobby die himmlischen Gefilde jedoch nicht, da der Eindruck von ihnen so flüchtig ist und verschwindet, sobald er auf der Erde wieder in seinem Körper erwacht.
Das plötzliche Verschwinden mehrerer Seelen bringt den Anwaltsengel ordentlich in Schwitzen. Da ausgerechnet bei einem seiner Fälle die erste Seele verschwand und ein dämonischer Ankläger, gegen den er erst kurz zuvor einen Prozess gewonnen hat, ermordet wird, ist er für beide Seiten plötzlich Tatverdächtiger Nummer eins. Zudem macht ein Gerücht die Runde, dass er im Besitz eines Gegenstandes ist, der einem der gefährlichsten Dämonenfürsten der Hölle gehört und der zugleich der Sugar Daddy der bezaubernd teuflischen Gräfin von Coldhands ist, in die sich der Held verliebt.
Doch diese verbotene Liebe zur Chefermittlerin der Hölle ist nur das Tüpfelchen auf dem I in dieser rasanten Geschichte, in der Doloriel mehr als einmal um sein Leben kämpfen muss und bei der er sich mehrmals die Frage stellt, wer im Hintergrund die Fäden dieser Intrige gegen ihn zieht.
Skurrile Nebenfiguren wie der Schweinemann George oder der Händleralbino Foxy Foxy runden den positiven Gesamteindruck von Williams neusten Streich ab und erwecken hohe Erwartungen an den nächsten Band, in dem Doloriels Abstecher in die Hölle ansteht. Ob das gut geht? Wahrscheinlich nur mit viel Action und einer gehörigen Brise schwarzen Humors.
Fazit:
Tad Williams "Bobby Dollar 1: Die dunklen Gassen des Himmels " ist alles in allem ein gelungener Roman, der mit Action und Humor gleichermaßen zu begeistern weiß und die Messlatte für die Nachfolgebände hoch legt. Wer jedoch Gedankenspielen zu der jüdischen oder christlichen Religion abgeneigt und auch ansonsten etwas zu zart besaitet ist, sollte lieber zu einem anderen Buch greifen.
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