Das Ende des Himmels
Story:
Der erste dystopische Roman des Autors, "Die Kuppel", fand weltweit Beachtung und wurde auch bei uns besprochen. Der junge Jäger Stolperzunge und die Seinen leben in einer archaischen Gesellschaftsstruktur. Sie ernähren sich von dem was sie erlegen können und auch schwache, alte Mitglieder des Stammes tragen ihren Teil zum Überleben des Stammes bei... in dem sie ihr Fleisch zur Verfügung stellen.
Stolperzunges Leben verändert sich grundlegend, als Indrani sein Leben betritt. Die dunkelhaarige Frau ist buchstäblich vom Himmel gefallen und zwischen dem jungen Mann, der bis dato im Schatten seines selbstbewussten Bruders stand, und ihr entsteht eine Liebe, der viele Prüfungen auferlegt werden. Zusammen findet das Paar einen neuen Stamm und die unerfahrenen Neuankömmlinge auf der grausamen Oberfläche des Planeten sind froh, einen so erfahrenen Jäger wie Stolperzunge in ihren Reihen zu haben.
Doch Indranis Vergangenheit holt sie ein und so endet bereits der erste Band nicht mit einem Steinzeit-Happy-End. Die dunkelhäutige Schönheit stammt aus einer Welt, die von dem was Stolperzunge kennt, kaum weiter entfernt sein könnte. In jeder Hinsicht!
Das Dach, eine Art erdumspannender Supercomputer, versorgt seine
Bewohner mit allen was diese zum Leben brauchen. Selbst die Erinnerungen
eines einzelnen werden darin abgespeichert und sind immer jederzeit
abrufbar. Nano-Organismen haben alle Krankheiten besiegt und viele der
Bewohner des Daches sind quasi unsterblich und schon mehrere
Jahrhunderte alt. Doch innerhalb dieses künstlich erschaffenen
Paradieses schwelen Konflikte.
Die Religiösen verehren entweder das Dach als göttliches Lebewesen
oder wollen jeglicher Technologie abschwören und die Angehörigen der
Elite wollen auf jeden Fall ihre Macht erhalten. Die Tatsache, dass das
Dach immer weniger zu funktionieren scheint, da ein durch einen Virus
verursachter grüner Schleim die Heimat der Milliarden von Menschen zu
zersetzen beginnt, sorgt natürlich für zusätzliche Brisanz. Beben,
Katastrophen, Hungersnöte, Aufstände und bürgerkriegsähnliche Zustände
sind an der Tagesordnung.
Indrani scheint nun etwas zu wissen, das den allermächtigsten
Einwohnern des Daches ein Dorn im Auge ist. Aber man will sie nicht
einfach aus dem Weg schaffen, sondern erfahren, an was genau sie sich
erinnert. Trotzdem oder gerade deswegen verlässt Indrani Stolperzunge
und "ihren" Stamm um dem auf denn Grund zu gehen, weiß sie doch selbst
noch nicht, was in ihrem Kopf so gefährlich sein könnte. Was sie
herausfindet stellt einen Verrat ungeheuerlichen Ausmaßes dar und droht
die Existenz ihrer Rasse in ihren Grundfesten zu bedrohen.
Stolperzunge fühlt sich einerseits in der Verantwortung seinem neuen
Stamm gegenüber und andererseits der Liebe zu seiner jungen Frau hin-
und hergerissen. Als ein Alter Feind den Stamm bedroht, beschließt
Stolperzunge alles auf eine Karte zu setzen und Indrani ins Dach zu
folgen.
Der "Wilde" schafft es tatsächlich dort hin zu kommen und erlebt eine
dekadente, gespaltene Gesellschaft, die auf ein Heilmittel wartet, dass
alle Umstände wieder bessern soll. Viele Menschen verbringen ganze Tage
in realistisch anmutenden Tagträumen und andere sind künstlich
aufgerüstet, wissen aber mit ihren auf diese Art erworbenen Kräften
nichts anzufangen. Als ob das alles nicht seltsam genug wäre, wird er im
Dach wie ein Rockstar behandelt, denn Milliarden von Menschen haben
seinen Überlebenskampf an der Oberfläche mitverfolgt.
Allen Widrigkeiten zum Trotz gelingt es ihm Indrani zu finden, die mit
einer unglaublichen Neuigkeit auf ihn wartet. Gemeinsam beschließen sie
den "Stamm" zu retten.
Meinung:
Auch der zweite Teil hat alles was eine Dystopie braucht. Gleich zwei
aus unserer Erlebenswelt heraus als völlig abartig zu beurteilende
Gesellschaftssysteme werden gegenüber gestellt. All die bekannten
Elemente. wie die zunehmende Flucht in virtuelle Realitäten oder der
übergeordnete Stellenwert von Äußerlichkeiten, sorgen dafür, dass sich
die "modernere" der beiden Zivilisationen gar nicht so fremd anfühlt und
das "Dach" hat stellenweise große Ähnlichkeit mit dem Internet. Es
nimmt uns das Denken ab, sorgt dafür, dass sich eigene Fähigkeiten
stellenweise sogar zurückentwickeln und versorgt uns auf Wunsch und fast
immer sofort mit allem, was wir brauchen oder glauben zu brauchen.
Wer würde sich, wenn er es könnte, nicht verjüngen und für immer
kräftig und gesund halten? Doch wenn es nicht genug Medizin für alle
gibt, wer entscheidet dann, wer es verdient ewig zu leben und wer in
ärmlichen Verhältnissen ein karges Dasein fristen muss? Wie hoch darf
der Preis für das Überleben einiger Weniger sein, wenn sie unter
Umständen die einzige Chance für den Fortbestand einer Zivilisation
darstellen?
Die Beziehung von Stolperzunge und Indrani trägt neben dem
ausgefallenen Setting den gesamten Roman. Beide Charaktere gewinnen im
Verlauf der Handlung zusehends an Ecken und Kanten. Indrani, die im
ersten Teil zeitweise noch recht distanziert wirkte, ist ihrem
"Liebsten" nun genauso zugewandt, wie dieser ihr. Die Beziehung wirkt
dadurch ausgeglichener und als Leser kann man besser nachvollziehen,
warum Stolperzunge für sie bis ans Ende der Welt gehen würde.
Die Verlagerung der Handlung weg von Oberfläche in die
hochtechnisierte, aber moralisch zerrüttete Gesellschaft des Dachs,
sorgt für viele spannende Elemente. Die unterschiedlichen Fronten dort
werden schnell klar dargestellt, so dass man sich in die politischen
Konflikte hineinfühlen kann. Die eindrucksvollen Schilderungen der
Träumer, Religiösen, Elitekämpfer, Krisenkinder und natürlich der
technologischen Wunder, die die Nanos vollbringen können, sorgen für
einen Hauch SciFi in einer Geschichte, deren Beginn eher nach
klassischer Fantasy klang. Vielleicht wäre der eine oder andere
technische Zusammenhang noch interessant gewesen und hätte der Handlung
im Dach zusätzliche Plastizität verliehen.
Starke Nebencharaktere gehören auch dazu: Da wäre zum Einen der alte
Jäger Steingesicht, der den jungen Helden von Anfang der Geschichte an
begleitet hat, sowie Hiresh, ein junger Mann, dessen ganzes Streben der
Zugehörigkeit zur Elitekaste der Wächter im Dach gilt. Gerade die
Geschichte von Hiresh illustriert exemplarisch vieles, was in der
Gesellschaft, die sich selbst als moralisch überlegen betrachtet, nicht
funktioniert.
Immer wieder sorgen überraschende Wendungen dafür, dass man das Buch
nicht aus der Hand legen möchte. Viele offene Fragen werden beantwortet
und verleihen beiden Romanen noch im Nachhinein zusätzliche Raffinesse.
Zum Beispiel wird erklärt, warum sich auf der Oberfläche des Planeten
immer wieder neue Lebewesen unterschiedlichster Rassen finden und alle
sich gegenseitig jagen und - viel wichtiger - essen können.
Wie schon im ersten Teil der Geschichte, so sind Stolperzunge sowie
seine Weggefährten und Feinde auch in diesem Buch alles andere als
zimperlich. Der Jäger kämpft, wenn es gilt zu überleben und schmeißt
dafür alle moralische Bedenken über Bord. Umso erstaunlicher, dass man
stets gewillt ist, sein Handeln zu rechtfertigen. Will der "Wilde von
der Oberfläche" doch nur seine Familie und seinen Stamm vor Schaden
bewahren.
Fazit:
Ein großartiger Roman den man kaum aus der Hand legen möchte. Die Stärken des Vorgängers werden ausgebaut und die Schwächen weiter minimiert. Eine tolle ungewöhnliche und fesselnde Dystopie. Hin und wieder etwas mehr Technokratie wäre erfreulich gewesen, lädt doch die Idee des weltumspannenden Supernanocomputers geradezu dazu ein.
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Peadar O'Guilín
Das Ende des Himmels
The Deserter. 02 The Bone Trilogy
Erscheinungsjahr: 20. August 2012
Autor der Besprechung:
David Weigel
Verlag:
Blanvalet
Preis: € 9,99
ISBN: 3442244269
448 Seiten
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