Gret Grundlin 01: Mord und Lautenklang
Story:
Im Sommer des Jahres 1500 gibt ein reicher Grundherr in der Nähe von Köln ein Fest: Die Hochzeit mit seiner hübschen jungen Frau liegt genau ein Jahr zurück, und inzwischen hat sich auch der lang ersehnte Nachwuchs angekündigt. Unter den Gästen ist auch der Arzt und Universitätsdozent Doctor Minutus, der seine Haushälterin Gret Grundlin mitgebracht hat.
Aber die Feier ist schnell wieder beendet, als der Bruder des Gastgebers plötzlich tot zusammenbricht. Doctor Minutus kommt zu dem Ergebnis, dass das Herz des schon etwas älteren Mannes die Aufregung nicht mehr ertragen habe. Aber Gret hat ihre Zweifel – sie glaubt an Mord. Die junge Frau begibt sich auf Spurensuche. Bald kommen weitere Mitglieder der Familie ums Leben, und auch Gret gerät in große Gefahr.
Meinung:
Bereits einige Jahre vor Engelke Geerts schickte Barbara von Bellingen eine andere junge Frau auf die Jagd nach Mördern und anderen Verbrechern. Gret Grundlin lebt fast genau einhundert Jahre nach Engelke in Köln. Während die Abenteuer der jungen Kauffrau in der Hansestadt Hamburg vom allgemeinen "historischen Roman" verschiedene Spielarten probierten, ist zumindest der erste Band dieser Reihe ein lupenreiner historischer Krimi. Das zeigt sich unter anderem auch darin, dass "Mord und Lautenklang" im Econ Verlag erschien, der in den 1990er Jahren eine der ersten Adressen für dieses Genre war.
Wer beide Serien liest, dem wird vieles bekannt vorkommen: Wie Engelke Geerts ist Gret Grundlin eine ausgesprochen selbstbewusste, junge Frau, die sich ihrer Attraktivität nicht bewusst ist und glaubt, dass sie sowieso als alte Jungfer enden wird. Der junge Hubertus, genannt Bätes, würde sich mit dem Hamburger Lausejungen Teetje vermutlich gut verstehen. Und auch in Grets Leben gibt es einen sehr attraktiven, großgewachsenen, blonden jungen Mann, bei dem die Protagonistin weiche Knie bekommt.
Im Gegensatz zur "Liebe auf den ersten Blick", die wie der Blitz zwischen Dierk und Engelke einschlägt, entwickelt sich die Beziehung zwischen Gret und ihrem Hans allerdings eher allmählich, man könnte sagen, "natürlicher". Was von diesen beiden Varianten einem besser gefällt, ist vermutlich Geschmacksfrage.
Ein weiterer Unterschied zur "Hanseserie" ist, dass jedenfalls dieses Abenteuer von Gret Grundlin weniger zugänglich ist. Die Geschichte braucht relativ lang, bis sie in Fahrt gerät. Der Punkt, ab dem man sich nicht mehr bewusst ist, eine erfundene Geschichte zu lesen, ab dem man glaubt oder glauben kann, die Aufzeichnungen wahrer Ereignisse zu lesen, liegt hier merklich weiter hinten. Ist dieser Punkt allerdings erreicht, funktioniert die berühmte "suspension of disbelief" wie von Barbara von Bellingen gewöhnt ohne Probleme.
Für die Spannung nutzt die Autorin die bereits vertrauten Mittel: Sie setzt die Protagonistin unter Druck, teils selbsterzeugt, teils von außen. Mal schwört Gret sich selbst, den Mörder in der Familie Farrenschildt zu fassen, mal muss sie ihre Ungeduld bis zum nächsten Tag bezähmen, weil sie erst dann erfahren wird, ob die Taten tatsächlich so verübt werden konnten, wie sie glaubt. Diese Anspannung überträgt sich auf den Leser. Der Kriminalfall ist für historische Krimis gute Durchschnittskost, aber nichts herausragendes. Da hat die Autorin später in Engelke Geerts Abenteuern "besseres" abgeliefert. Speziell erfahrene Fans des Genres werden schnell ahnen, worauf alles hinauslaufen dürfte. Das ändert jedoch nichts daran, dass es trotzdem spannend bleibt, Gret auf ihrem Weg zur Lösung zu begleiten. Speziell der Mord an einem der Opfer dürfte für zu junge Leser zu grausam sein.
Die historische Einbettung ist gut gelöst: Alle Charaktere, inklusive der Protagonistin, sind eindeutig Kinder ihrer Zeit. Gret muss beispielsweise erst einmal ihre Vorurteile gegen Juden (die im Spätmittelalter alles andere als einen leichten Stand hatten) überwinden. Aber als sie den alten Rabbi Jehuda Ben Israel – den eindeutig sympathischsten Charakter des ganzen Romans – kennen lernt, ändert sie ihre Meinung schnell. Eine prominente Nebenfigur ist sogar nicht nur aufgrund ihrer Rolle in der Geschichte prominent, ihr Name dürfte vielen Geschichtsinteressierten etwas sagen. Der junge Student Heinrich Cornelius will sich, wenn seine Karriere erst mal richtig läuft, "Agrippa" nennen. Agrippa von Nettesheim gilt als wichtigster Universalgelehrte seiner Zeit, der unter anderem zu Goethes Inspiration für den Faust beitrug.
Insgesamt ist "Mord und Lautenklang" ein solider historischer Krimi. Zwar reicht zumindest das erste Abenteuer von Gret Grundlin nicht ihre "Kollegin" Engelke aus Hamburg heran, aber speziell Fans des Genres werden in jedem Fall auf ihre Kosten kommen. Und Gret hat noch drei Bände Zeit, sich zu steigern, denn auch mit dieser Heldin hat Barbara von Bellingen vier Romane gefüllt.
Fazit:
Ein solider historischer Krimi, der in einigen Punkten an die (später geschriebenen, aber früher angesiedelten) Abenteuer um Engelke Geerts der gleichen Autorin erinnert. Gret Grundlin erreicht in Köln um 1500 noch nicht das Niveau ihrer Hamburger "Kollegin", aber das Resultat ist immer durchaus lesenswert.
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Barbara von Bellingen
Gret Grundlin 01: Mord und Lautenklang
Erscheinungsjahr: 1994
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Econ
ISBN: 3-612-25073-6
269 Seiten
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