Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte.
Story:
In diesen Tagen kann man ihm kaum entkommen: Dem Nikolaus, Santa Claus, dem Weihnachtsmann. Aber welche Geschichte(n) verbergen sich hinter dem weihnachtlichen Gabenbringer? Der Ethnologe Thomas Hauschild zeichnet die Abstammung und die Einflüsse der Figur nach und fördert dabei einige Überraschungen zutage.
Meinung:
Um es vorweg zu nehmen: Die einfachen Antworten stimmen eigentlich alle nicht, oder jedenfalls sind sie nur ein kleiner Teil der Geschichte. Weihnachtsmann ist keine Erfindung der Werbestrategen von Coca-Cola oder allgemein eine Verkörperung des weihnachtlichen Kaufrauschs. Er ist aber auch kein Nachfahre eines tatkräftigen Bischofs aus dem kleinasiatischen Myrna. All diese Einflüsse und noch einige mehr haben jedoch Aspekte zu einer Figur beigetragen, die in Eurasien und Nordamerika im wahrsten Sinne des Wortes jedes Kind kennt.
Der Ethnologe Thomas Hauschild von der Universität Halle zeichnet ein sehr detailreiches Bild, das auch viele Überraschungen bereithält. Denn wer wusste beispielsweise, dass der amerikanische "Santa Claus" dezidierte niederländische Wurzeln hat? Oder dass es bis zum Zweiten Weltkrieg eine regelrechte Grenze quer durch Europa gab, die die Tradition des Weihnachtsbaums einerseits und der Weihnachtskrippe andererseits trennte? Oder dass eine rote Mütze, wie sie Weihnachtsmann trägt, in der eurasischen Geschichte immer wieder ein Symbol des Aufbegehrens gegen die jeweilige Zentralmacht war? Oder dass der chinesische Gott des langen Lebens Shou Xing verblüffende Ähnlichkeit mit unserem Gabenbringer hat – und das bei weitem nicht als einzige vorchristliche mythische Figur?
Hauschild macht es seinen Lesern nicht unbedingt leicht. Wer leichtverdauliche Erklärungen erwartet, die man auf der nächsten Weihnachtsfeier zum besten geben kann, wird enttäuscht. Stattdessen stellt der Autor Stück für Stück ein ganzes Mosaik an Einflüssen vor, die auf Weihnachtsmann gewirkt haben und auf die er wiederum gewirkt hat. Wer sich aber mit auf diese Reise begibt, erfährt nicht nur viele interessante Fakten, sondern bekommt auch eine große Zahl Denkanstöße über aktuelle Probleme des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, am Beispiel von Weihnachten. Um nur ein Beispiel zu nennen, was ist eigentlich mit den türkischen, arabischen oder sonst aus einem anderen Kulturkreis stammenden Nachbarn? Dürfen die auch Weihnachten feiern? Müssen sie es vielleicht sogar, um "so richtig dazuzugehören"? Wer hat das zu entscheiden? Oder lenken solche Fragen nicht viel eher vom eigentlichen Thema ab? Sind Weihnachten und Weihnachtsmann nicht längst Teil eines übergreifenden Kults, der sich von seinen christlichen Wurzeln löst?
Der Autor vertritt eher das letztere und plädiert dafür, das winterliche Brauchtum (wieder) zu einem Teil der Geschichte der gesamten Menschheit, unabhängig von einzelnen Völkern und Religionen zu machen. Dafür zeichnet er zunächst die Einflüsse nach, die in Vergangenheit auf Weihnachtsmann & Co wirkten. Denn "von diesem Punkt ab, so unvollkommen er auch sein mag, können wir auch streiten, können wir ausprobieren, wie sich das Winterfest weiter entwickeln soll".
Das Ergebnis ist ein Buch, dass eine gewisse Konzentration erfordert. Hauschild liefert keine kurzen, knappen Erklärungen, sondern er zeichnet lange und verschlungene Entwicklungwege nach, die zu der Gestalt führen, die wir heute als Weihnachtsmann kennen. Oft liest man ungefähre Formulierungen wie "man kann etwas verstehen als" oder Begriffe wie "vielleicht". In einer Geschichte, an der Millionen von Menschen über Jahrhunderte mitgeschrieben haben, sind klare Gewissheiten nicht die Regel, und das verschweigt der Autor seinen Lesern auch nicht. Übung in kulturwissenschaftlichem Denken kann hilfreich sein, ist aber keine Bedingung zur Lektüre. Dieser Rezensent stammt eher aus der naturwissenschaftlichen-technischen Ecke und ist mit dem Buch auch zurecht gekommen.
Der Aufbau des Buches ist merklich auf das allgemeine Publikum abgestimmt, ohne die wissenschaftliche Solidität zu opfern. Die Anmerkungen, in der Regel Quellenangaben, beispielsweise, stehen nicht als Fußnoten auf den jeweiligen Seiten, wo sie für damit ungeübte Leser den Lesefluss doch ziemlich hemmen könnten, sondern sind in einem Anhang gesammelt. Weitere Anhänge enthalten Danksagungen, ein Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweise und ein Register.
"Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte" ist keine Lektüre für Zwischendurch, das Buch erfordert ein gerüttelt Maß an geistiger Mitarbeit. Aber wer dazu bereit ist, erfährt nicht nur viel Interessantes und Überraschendes, sondern bekommt auch Anstöße, seine eigene Vorstellung von Weihnachten und darüber hinaus zu überdenken.
Fazit:
Der Ethnologe Thomas Hauschild zeichnet die vielfältigen Einflüsse nach, die die kulturelle Figur geprägt haben, die wir heute als Nikolaus, Santa Claus oder Weihnachtsmann kennen. Dabei erfährt der Leser viel Neues und Überraschendes und bekommt ein gerüttelt Maß an Denkanstößen zum Thema Weihnachten und darüber hinaus. Etwas Bereitschaft zur intellektuellen Arbeit, um dem Autor auf seinem Weg zu folgen, sollte man jedoch mitbringen.
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Thomas Hauschild
Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte.
Erscheinungsjahr: 2012
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
S. Fischer
Preis: € 19,99
ISBN: 978-3-10-030063-8
384 Seiten
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