Sir John und Bruder Athelstan 04: Der Zorn Gottes
Story:
Es brodelt im England des Jahres 1379. Die Reichen und Mächtigen pressen das einfache Volk immer weiter aus. Das machen sich charismatische Bauernführer und Agitatoren zu nutze und rufen zum Aufstand auf. Denn "als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" Dem Regenten John von Gaunt gleitet die Lage zunehmend aus der Hand.
Um wieder die Kontrolle zu gewinnen, versucht Gaunt ein Bündnis mit den einflussreichen Handwerkergilden zu schmieden. Aber bei dem feierlichen Treffen mit den Gildemeistern, das den neuen Bund besiegeln soll, kommt es zu einem unerklärlichen Mord. Hat "Ira Dei", der "Zorn Gottes", der über die Herrschenden kommenden soll, seine Leute selbst im Londoner Rathaus? Und was wird aus dem geplanten Abkommen, wenn die Gildemeister bei Gaunt um ihr Leben fürchten müssen? Der Coroner der Stadt, Sir John Cranston, und sein Schreiber Bruder Athelstan müssen das Rätsel schnell klären. Aber das erscheint unmöglich, denn allem Anschein nach hätte der Mord so wie er passiert ist eigentlich gar nicht begangen werden können. Und die Beiden müssen sich gleichzeitig noch mit anderen Geheimnissen herumschlagen...
Meinung:
Paul Harding, hinter dem sich Paul C. Doherty verbirgt, schickt sein ungleiches Ermittlerpaar in ihr viertes Abenteuer. In der Geschichte um den "Zorn Gottes" setzt der Autor das fort, was bereits im dritten Band auffällig war: Harding setzt weniger auf das derb-pralle mittelalterliche Leben als in den ersten beiden Romanen. Zwar ist auch diesmal London weit entfernt davon, klinisch rein zu sein, es baumeln Leichen am Galgen, stehen Verbrecher am Pranger und werden Nachttöpfe auf die Straße gekippt. Aber die aus heutiger Sicht betrachtet "Schockeffekte" spielen eine merklich kleinere Rolle als früher in der Reihe.
Auf der anderen Seite ist die Einbindung der hohen Politik diesmal stärker. Schon immer hatten die Fälle von Bruder Athelstan und Sir John sehr häufig eine Relevanz für höchste Kreise, auch der Regent und der jugendliche König höchstpersönlich hatten schon ihre Auftritte. Aber diesmal werden die beiden Ermittler sehr direkt in die hohe Politik verwickelt.
Die Kriminalfälle sind, wie von Paul Harding gewohnt, sehr geschickt konstruiert. Ohne zu viel zu verraten, der Autor beherzigt zwei klassische Regeln des Kriminalromans: Wähle jemanden als Täter, der zwar immer dabei ist, aber nie so wirklich im Mittelpunkt steht. Und finde eine Lösung für die Methode, wie das Verbrechen begangen wurde, die im Rückblick logisch ist, aber an die zunächst nur die Wenigsten denken werden.
Neben dem "Hauptfall" gibt es noch drei weitere Rätsel, die Sir John und Athelstan lösen müssen. Damit verzettelt sich der Autor aber nicht so wie noch im Vorgänger "Sakristei des Todes", da diese "Nebenfälle" klein genug bleiben. Sie funktionieren mehr als Unterstützung des Hauptfalles denn als Ablenkung von ihm.
Ein typisches Merkmal einer guten Romanreihe wird in dieser Geschichte erstmals gut erkennbar: Der Leser kehrt gerne zu den bereits eingeführten und vertrauten Figuren zurück. "Der Zorn Gottes" ist auch ein Wiedersehen mit Sir John und Bruder Athelstan, mit Cranstons Ehefrau Maude, ihren kleinen Söhnen, dem Bettler Leif, all den Schäfchen aus Athelstans Gemeinde und so fort. Der vierte Roman der Reihe ist merklich eben eine Folge aus einer Serie, vor der und nach der weitere stehen. Wer alle bisherigen Abenteuer des dicken, trinkfesten Coroners und seines von Selbstzweifeln geplagten Sekretarius verfolgt hat, kann sich in diesem Roman auf einige angenehme Wiedersehen freuen. Neueinsteiger können das Buch ebenfalls lesen, vor allem weil die Kriminalfälle nahezu ganz unabhängig vom Rest der Reihe verständlich sind, aber ihnen entgeht definitiv etwas.
Die historische Einbettung ist, wie von einem Historiker wie Harding/Doherty nicht anders zu erwarten, gut gelöst. Die reale Situation des Jahres 1379 ist der im Roman geschilderten zumindest sehr ähnlich. 1381 kam es dann tatsächlich zu einem großen Aufstand, der als "Peasants' Revolt" bekannt ist und eine wichtige Rolle in der englischen Geschichte spielen sollte. Von einem geheimnisvollen, maskierten Aufrührer, der sich "Ira Dei" nennt, wissen die Geschichtsbücher nichts, ebensowenig wie von dem Treffen zur Besiegelung eines Bündnissen zwischen John von Gaunt und den Gilden der Stadt London. Aber all das passt gut in die Lage, in der sich England damals befand.
"Der Zorn Gottes" ist also ein guter historischer Kriminalroman. Ganz nach oben auf die Wertungsskala schafft das Buch es nicht; dazu ist er unter anderem zu deutlich eines von mehreren, böse gesag "eines von vielen" in der Serie. Aber für ein solides "Reinschauen" reicht es mit Leichtigkeit.
Fazit:
Im vierten Abenteuer von Sir John Cranston und Bruder Athelstan setzt sich die Tendenz des vorherigen Romans fort: Der Autor richtet sein Augenmerk weniger auf die derbe-pralle Mittelalterwelt als bisher und konzentriert sich eher auf die gut konstruierten Kriminalfälle. Für Leser, die die Reihe bis hierher verfolgt haben, macht besonders das Wiedersehen mit den vertrauten Haupt- und Nebenfiguren Freude.
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Paul Harding
Sir John und Bruder Athelstan 04: Der Zorn Gottes
The Anger of God
Übersetzer: Rainer Schmidt
Erscheinungsjahr: 1997
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Knaur
ISBN: 3-426-63078-8
248 Seiten
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