Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Story:
Allan Emmanuel
Karlsson feiert im Mai 2005 seinen 100. Geburtstag. Doch der Greis
denkt nicht daran, diesen im Altersheim zu verbringen. Eine Stunde,
bevor sein Ehrentag gefeiert werden soll, klettert der rüstige
Rentner aus seinem Zimmer im Erdgeschoss und macht sich in Anzug und
Pantoffeln auf und davon. Auf dem nahegelegenen Busbahnhof nimmt er
einem unfreundlichen Burschen in Rocker-Klamotten noch einen Koffer
ab, in der Hoffnung dadrin ein Paar feste robuste Schuhe zu finden.
Allan ahnt noch nicht, dass er soeben einem Mafioso 50 Millionen
Schwedische Kronen gestohlen hat. Dies ist der Anfang einer
aberwitzigen Reise durch Schweden, auf der der Hundertjährige von
Journalisten, Polizisten und Mafia gejagt wird, aber auch Freunde
findet, mit denen sich das Diebesgut prächtig teilen lässt.
Meinung:
Selten hat ein
Roman die Leser so sehr begeistert wie „Der Hundertjährige, der
aus dem Fenster stieg und verschwand“. Sowohl bei ihnen, als auch
im Feuilleton kommt die Geschichte von Allan und seinen Freunden
dermaßen gut an, dass sich der Roman nun ein knappes Jahr in der
Spiegel-Bestsellerliste hält. Erst nach der Ende September
stattgefundenen Bestseller-Reform, die nun einen deutlicheren
Unterschied zwischen Hardcovern, Paperbacks und Taschenbüchern
macht, hat Jonassons Debütroman seinen ersten Platz eingebüßt.
Vor seiner
zweiten Karriere als Autor arbeitete der 1961 geborene Jonas Jonasson
als Journalist in Schweden. Während Allans Ausflug kriegen dadurch
auch Jonassons fiktive Kollegen der diversen schwedische Blätter ihr
Fett weg, wenn sie sich an die Fersen des fitten Greises heften und
die verrücktesten Spekulationen über seine Flucht anstellen.
Jonasson selbst sagte übrigens, dass er den Roman nur geschrieben
habe, weil ihm der Titel so gut gefallen hat. Zum Glück hielt er am
Titel und der Romanidee fest, sonst wäre Lesern weltweit ein
bitterböser Spaß entgangen.
Allan Emmanuel
Karlsson ist ein Schelm wie aus dem Bilderbuch und so steht „Der
Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ in der
Tradition der spanischen Schelmenromane, die ab dem 16. Jahrhundert
populär wurden und auch in anderen Ländern Nachahmer fanden. Neben
den spanischen Klassikern von Mateo Alemán und Miguel de Cervantes
hat das Genre auch jüngere
Vertreter hervorgebracht. Allan ist jedoch nicht schwer von
Begriff wie es z. B. Forest Gump war. Er ist ein sympathischer
Außenseiter, dessen Liebe schon in frühester Jugend dem Sprengstoff
galt. Und diese Leidenschaft hat ihn einmal um die Welt geführt.
Jonasson gliedert
seine Erzählung in zwei sich abwechselnde Stränge. Zum einen wird
von den Tagen erzählt, die Allans Flucht aus dem Altenheim folgen,
zum anderen erfährt der Leser nach und nach die Lebensgeschichte des
Hundertjährigen. Dieser unscheinbare Mann aus der schwedischen
Provinz hat vor allem die Schattenseiten des Jahrhunderts miterlebt
und zwar schon recht früh. Richtig deprimiert hat ihn das aber
nicht, immerhin gab es immer etwas, das in die Luft gejagt werden
konnte oder jemanden, dem die Trinkfestigkeit der Schweden bewiesen
werden musste.
Seinen
Fähigkeiten – und ab und zu auch sicherlich Gevatter Zufall –
ist es zu verdanken, dass Allan im Verlauf seines Lebens nicht nur
mit Präsidenten wie Truman einen über den Durst getrunken hat,
sondern er auch die großen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts
kennen lernte, von Franco bis Stalin. Irgendwie hat der Schwede zudem
das Talent entwickelt, immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu
sein und dennoch seine Haut retten konnte.
Ob Jonasson sich
nun der Gegenwart oder der Vergangenheit widmet, in beiden Fällen
wird der lockere Erzählton von einem schwarzen, bösen Humor
begleitet. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen fällt es schwer,
sich Jonassons Roman zu entziehen. Ist Allan „nur“ ein geistiger
Nachfahre von Baron Münchhausen oder hat er diese Dinge wirklich
erlebt? Warum sollte es nicht einen Mann geben, der ohne Absicht doch
so viele kleine und große Entscheidungen der jüngeren Geschichte
gelenkt hat? Gegenüber Allans Lebensgeschichte wirkt die Schilderung
der Gegenwart ein wenig aufgesetzt, bildet sie doch in weiten Teilen
nur den Rahmen für die Erinnerungen an hundert Jahre Weltgeschichte
aus der Sicht eines Zeitzeugen. Doch auch der Trip durch Schweden hat
seine Höhepunkte und Lacher, die nicht zuletzt der kunterbunten
Schar an Mitreisenden zu verdanken sind. „Der Hundertjährige, der
aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist ein vergnüglicher
Streifzug durch die Geschichte und unsere Welt, der mit schwarzem
Humor erzählt wird und zum Nachdenken anregt.
Fazit:
Mit „Der
Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ hat
Jonas Jonasson einen Überraschungshit gelandet, der eine
vergnügliche, wenn auch bitter böse und zum Nachdenken anregende
Geschichte erzählt.
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