Aprilgewitter
Story:
Der zweite Teil der Trilogie um die junge Ostpreußin Lore von Trettin liegt vor und man darf gespannt sein, ob das Autorenpaar unter dem Namen Iny Lorenz mit dem Roman die gewohnt hohe Qualität der bisherigen Bestseller halten kann. Bekannt wurden die beiden deutschen Autoren Iny Klocke und Elmar Wohlrath mit ihren (mittlerweile bereits 4) Romanen über die „Wanderhure“.
Lore die Hauptfigur aus dem ersten Teil des als Trilogie angelegten historischen Romans ist mittlerweile nach einer langen und beschwerlichen Flucht aus dem fernen Ostpreußen mit ihrem Cousin Fridolin von Trettin verheiratet. Alles läuft wunderbar für das junge Paar. Doch es wird Zeit auf eigenen Beinen zu stehen und so möchte Fridolin sich in Berlin als Bankier versuchen. Der Zeitpunkt erscheint günstig, da Nathalia von Retzmann die junge Comtesse, die Lore anvertraut wurde, ein Mädcheninternat in der Schweiz besuchen und ihr „Kindermädchen“ dort nicht mehr benötigen wird. Auch Lore geht in Berlin eigene Wege und erfüllt sich den lang gehegten Traum eines eigenen Modesalons. Doch auch wenn die Geschäfte alles andere als schlecht laufen stellt sich das Leben in Berlin schon sehr bald als Belastungsprobe für die Ehe der Trettins heraus.
Fridolin stellt in Berlin durchaus kein unbeschriebenes Blatt dar und so kommt es, wie es kommen musste: Trotz der völlig anderen gesellschaftlichen Kreise in denen sich der ehemals arme Student und mittlerweile frisch gebackene Edelmann bewegt, trifft er auf alte Bekannte. Hilde Pfefferkorn beispielsweise ist die Eigentümerin des Edelbordells Le Plaisir einem Etablissement in dem Fridolins neue Geschäftspartner mit Vorliebe verkehren. Um Lore nicht zu belasten erzählt Fridolin nichts von diesen Verbindungen und so führt eins zum Anderen. Zu allem Überfluss hat sein Vorgesetzter ehrgeizige Pläne und eine unverheiratete Tochter im besten Alter, die es auf den attraktiven, jungen und mittlerweile wohlhabenden Fridolin abgesehen hat. Böte der erfolgreiche Bankier doch für reiche bürgerliche Familien eine hervorragende Gelegenheit in adlige Kreise vorzurücken, wäre da nicht seine junge, zurückgezogen lebende Ehefrau…
Während Lore von den gesellschaftlichen Schwierigkeiten ihres Gatten zunächst nur das Wenigste mitbekommt, leidet sie mehr und mehr unter der Einsamkeit, der sie sich in Berlin zunehmend ausgesetzt sieht. Fridolin arbeitet viel und die Geschäftskontakte denken nicht einmal daran Lore einzuladen, würde das doch die Chancen den verheiraten Fridolin zu verkuppeln, erheblich verschlechtern. Doch auch die anderen Damen der Gesellschaft schneiden Lore und allmählich beginnt sich eine nur allzu vertraute Handschrift abzuzeichnen. Die Schatten der Vergangenheit greifen nach der jungen Frau und ihrem neu gewonnenen Glück.
Meinung:
Bei dieser Trilogie geht es bergauf! Der vorliegende zweite Band ist definitiv besser als der erste Teil. Viele der Charaktere tauchen wieder auf, gewinnen aber im Verlauf dieses Romans an Tiefe. Neue Charakterzüge werden offenbart und die Realität holt liebgewonnene Hauptfiguren ein. Das hilft definitiv gegen den Kitsch, der im ersten Teil das historische Flair zu ersticken drohte.
Die Verlagerung der Handlung nach Berlin liefert einen frischen, unverbrauchten Handlungsrahmen. Das Widersehen mit Lore, Fridolin, der ewig rachsüchtigen Malwine und der opportunistischen Elsie, die Lore im ersten Teil so übel mitgespielt hat, sowie einigen Anderen liefert genügend Brücken zum Vorgänger.
Da die Handlung räumlich bis auf wenige Ausnahmen (wie Lores Kur-Aufenthalt in der Schweiz) eng an Berlin gebunden ist, bekommt der Leser interessante Einblicke in das gesellschaftliche Leben der besseren Kreise in einer deutschen Großstadt Ende des 19. Jahrhunderts. Einerseits befindet sich die klassische Stände-Ordnung bereits im Umbruch, da Adlige zunehmend auch verarmen, wenn sie kein Land ihr Eigen nennen und andererseits würde selbst der reichste Kaufmann viel tun um seinem Namen das kleine Wörtchen "von" hinzufügen zu dürfen.
Wie im "Dezembersturm" auch bleibt der historische Hintergrund jedoch eher schmückendes Beiwerk denn tragender Bestandteil der Handlung. Bismarck und der Sohn des Kaisers haben zwar kleine Auftritte, sind jedoch nichts relevant für den Plot. Eines der Themen das immer wieder auftaucht, ist das Spannungsfeld zwischen Militär- und Zivilpersonen im zunehmend militarisierten Preußen. Die Autoren greifen auch hierbei und wieder zur veranschaulichenden schwarz-weiß-Malerei. Scheinen doch die meisten Offiziere nur säbelschwingende, durch die Stadt preschende Weiberhelden in schicken Galauniformen gewesen zu sein. Doch ohne ein Bisschen Klischee wäre das Gerne wohl bereits tot und die Romane läsen sich wie Sachbücher.
Sowohl Fridolin, der dieses Mal eine deutlich größere Rolle als zuvor spielt, als auch Lore wirken durchaus sympathisch, bekommen aber Ecken und Kanten verliehen, die beide menschlicher und damit realer wirken lassen. So streiten sich auch die Edelleute von Trettin wenn es um Fragen der Selbstverwirklichung geht. Er zeigt sich gelegentlich starrsinnig und etwas stolz, während Lore verletzt und eifersüchtig auf Ablehnung reagiert. So tragisch das sein mag, verleiht es dem Buch doch das notwendige Drama um nicht ins Banale abzudriften.
Die Handlung ist gewohnt unterhaltsam und spannend inszeniert. Es geht nicht um Weltuntergang und nur selten um Leben und Tod. Häufig zeichnen sich die sich anbahnenden Ereignisse bereits im Voraus ab, doch einer gewissen Erleichterung, Spannung oder Heiterkeit - Je nach dem an welcher Stelle des Romans man sich befindet - kann sich der Leser nicht entziehen. Wer Lore im ersten Teil mochte, wird auch jetzt wieder Freude an dem Scharfsinn und der Tatkraft dieser jungen Frau empfinden.
Fazit:
Lore und Fridolin haben geheiratet, versuchen die Vergangenheit hinter
sich zu lassen und wagen in der großen Stadt einen Neuanfang. Das Alles
liest sich wie aus einem Guss. Die Steigerung dem Vorgänger gegenüber
liegt in den Charakteren und den ihnen begegnenden Herausforderungen
begründet. "April-Gewitter" ist historischer als "Dezembersturm" und
zeichnet ein interessantes Bild der Zeit anhand zweier Einzelschicksale.
Alles ist etwas farbenfroher und freundlicher als im Genre üblich und
in diesem Fall ist die Mischung gelungen.
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