Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen
Story:
Albatrosse können sehr gut durch die Luft gleiten, aber bei der Landung brechen sie sich schon mal den Hals. Walrosse stürzen sich ohne ersichtlichen Grund von einer Klippe in den Tod. Spinnen suchen sich Stellen für ihre Netze, wo es besonders viele Beutetiere gibt – aber auch besonders viele Feinde. Und wozu genau ist eigentlich die Mähne eines Löwen gut?
Die Natur ist nicht perfekt, und die Evolution erschafft nicht zwangsläufig das Bestmögliche. Dafür hat der Biologe und Autor Jörg Zittlau in zehn Kapiteln Beispiele zusammengestellt, von Anpassungen, die mehr Probleme als Nutzen bereiten, über zu geringe oder zu starke Spezialisierung oder Tiere, die mit dem Alkohol nicht umgehen können, bis zur "Krone aller Irrtümer" – Homo sapiens.
Meinung:
Über die Funktionsweise und die Folgen der Evolution haben sich im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von falschen Vorstellungen verbreitet. Darwins Formulierung vom "survival of the fittest" wurden falsch als "Überleben des Stärksten" übersetzt und als Ausrede für Unterdrückung und Schlimmeres benutzt.
Eine weitere Fehleinschätzung ist die Ansicht, die Evolution würde zwangsläufig "perfekte" Wesen hervorbringen. Dabei kann auch die Evolution nur unter den Varianten "auswählen", die durch zufällige Mutation entstehen. Man könnte sagen, es überlebt nicht nur der, der am schnellsten vor dem Löwen davonlaufen kann – es genügt vollauf, wenn man schneller als alle anderen läuft. Ob es theoretisch noch schneller ginge, ist weniger wichtig.
Jörg Zittlau schildert in seinem Buch eine reiche Auswahl solcher Wesen, die zwar alles andere als perfekt sind, aber die sich trotzdem in der Evolution durchgesetzt haben. Dabei ist sein Schreibstil alles andere als formal und trocken, wenn er beispielsweise von Flusspferden berichtet, die mit dem Schwanz propellerartig ihren Kot zwecks Reivermarkierung versprühen. Oder von Tupaja, kleinen hörnchenartigen Säugetieren, die stressempfindlicher als jede Filmdiva sind. Oder Elche, die nach dem ausgiebigen Genuss vergorener Früchte schon mal im Altersheim mit vom Teller essen wollen.
Allerdings schleichen sich gelegentlich, beabsichtigt oder aufgrund des lockeren Stils, wiederum neue Fehleinschätzungen über die Evolution ein. An einigen Stellen hat der Leser den Eindruck, Zittlau würde den Tieren oder gar der Evolution selbst planerische Absicht unterstellen. Aber kein Lebewesen schlägt in der Evolution bewußt eine bestimmte Richtung ein. Auch nicht positiv fällt auf, dass der Autor an einigen Stellen ziemlich gezwungen den Bogen zum Menschen schlägt und dabei kaum verhüllte moralische Ratschläge gibt.
Insgesamt hat Jörg Zittlau fast 200 Seiten mit lesenswerten, teils erstaunlichen Geschichten aus der Natur abgeliefert. Wenn die angesprochenen Nachteile nicht wären, könnte man "Warum Robben kein Blau sehen..." uneingeschränkt empfehlen.
Fazit:
Mit teils erstaunlichen Beispielen zeigt Jörg Zittlau, dass die Evolution nicht zwangsläufig perfekte Lebewesen hervorbringt. Allerdings vermittelt er dabei, absichtlich oder aufgrund des lockeren Schreibstils, andere Fehleinschätzungen über die Evolution und hebt gelegentlich zu auffällig den moralischen Zeigefinger.
|  |
Jörg Zittlau
Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen
Erscheinungsjahr: 2008
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Ullstein
Preis: € 7,95
ISBN: 9783548372228
191 Seiten
|