Der König der Komödianten
Story:
Venetien gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Der junge Marco hat bisher nur das abgelegene Landgut sein Onkels kennengelernt, auf dem er aufgewachsen ist. Die pulsierenden Städte seiner Zeit kennt er nur aus Erzählungen, Städte wie Padua oder die Stadt schlechthin, die "serenissima" – Venedig. Als sein Onkel ein Stelldichein mit einer Magd nicht überlebt, soll Marco schnell in ein Kloster abgeschoben werden. Der Prior und ein Notar sollen sein Vermögen verwalten, bis er volljährig ist.
Nur wusste Marco bis dahin nicht einmal, dass er überhaupt ein Vermögen hat. Und seine beiden neuen Vormunde machen nicht den Eindruck, als läge ihnen sein Wohlergehen sonderlich am Herzen. Als er eines Tages zufällig ein Gespräch belauscht, das zum Thema hat, dass ihm ja auch etwas zustoßen könnte, macht sich Marco schnell aus dem Staub.
Aber wohin jetzt? In Padua begegnet Marco einer fahrenden Schauspielertruppe. Die suchen einen Bühnenhelfer, und der kräftige Marco kommt dafür genau richtig. Aber schnell zeigt sich, dass die klassische Bildung, die sein Onkel ihm angedeihen ließ, ihm sehr zu Pass kommt. Die Incomparibili brauchen neue Stücke, um ihr Publikum nicht zu langweilen, und Marco soll diese Stücke schreiben. Und so taucht Marco immer weiter ein in die Welt der Comedia dell' Arte.
Meinung:
Charlotte Thomas hat nicht nur einen Roman aus der Welt der Comedia dell' Arte, der italienischen Volkskomödie, geschrieben, auch die Geschichte des "Königs der Komödianten" könnte gut einem solchen Theaterstück entsprungen sein: Ein Junge wächst auf dem Land auf, wo ihn sein guter Onkel vor allem Bösen zu verstecken und bewahren versucht. Aber natürlich verschlägt es ihn trotzdem in die große, faszinierende und auch gefährliche Stadt.
Bis er dort ankommt, leidet der Roman ein wenig unter Anlaufschwierigkeiten. Marcos Naivität als personifiziertes Landei – vom Landgut seines Onkels ist es selbst zum nächsten Kuhkaff eine Stunde Fußmarsch – wird doch etwas übertrieben dargestellt. Mancher Leser könnte versucht sein, das Buch an dieser Stelle aus der Hand zu legen. Das wäre aber schade, denn nach den ersten fünfzig, sechzig Seiten nimmt der Roman Fahrt auf.
Insbesondere die Incomparibili bringen, nun, Leben in Marcos Leben. Neben der Theaterwelt, die für Marco neu und aufregend ist, sorgen auch andere Betätigungen der Schauspieler für Wirbel: Die geradezu berückend schöne Caterina und ihr Ehemann Bernardo schwanken ständig zwischen Eifersucht, Streit und stürmischer Versöhnung. Bernardos Versuche, vermeintlichen und tatsächlichen Nebenbuhlern an die Gurgel zu gehen, haben schon zu so manchem hastigem Aufbruch der Truppe geführt. Der alte Intendant Baldassarre führt derweil seine Kunst gerne einmal außerhalb der Theaterbühne auf – soll heißen, er spielt seinen Mitmenschen kleine Schmierenstücke vor und versucht, ihnen "garantiert echte" Reliquien, Jungbrunnen und anderes anzudrehen. Auch er hat schon für viele abrupte Ortswechsel der Incomparibili gesorgt, wenn seine Opfer entdecken, dass sie betrogen wurden. Elena, die Enkelin des Intendanten, findet Marco von der ersten Begegnung an vorlaut, schlecht erzogen und überhaupt nervtötend. Aber irgendwie findet er sich immer wieder an ihrer Seite wieder... Und auch diejenigen, die ihn ins Kloster abschieben oder gleich ganz beseitigen wollten, kann er nicht so weit hinter sich lassen wie es ihm lieb wäre.
Das führt dazu, dass die Geschichte zwar kein wirkliches Ziel vor Augen hat – schließlich will Marco weniger irgendwo hin als von einem Ort weg, nämlich weg vom Kloster und seinen Häschern – , aber trotzdem ständig in Bewegung scheint. Immer passiert irgendetwas, geht etwas bei einer Aufführung schief, sorgen Caterina, Bernardo oder Baldassarre für Wirbel, wird Marco aus Elenas Verhalten nicht schlau. Nur einige Stellen, an denen sich die Autorin in Beschreibungen von Landschaften und Gebäuden vertieft, hätten auch kürzer ausfallen können. Abgesehen von diesen vorübergehenden Längen liest sich "Der König der Komödianten" durchaus angenehm und spannend. Dazu trägt auch bei, dass Marco seine Naivität nur nach und nach ablegt. Oft ahnt der Leser etwas, während es noch dauert, bis auch bei unserem Helden der Groschen fällt.
Ein neues Lieblingsbuch werden die meisten Leser eher nicht gefunden haben, aber beispielsweise als Urlaubslektüre, die einen für rund 700 Seiten in das Venedig der Renaissance entführt, ist der Roman sicher eine gute Wahl.
Fazit:
Ein guter historischer Roman, der zwar keine neuen Maßstäbe im Genre setzt, aber etwa als Urlaubslektüre gut geeignet ist.
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Charlotte Thomas
Der König der Komödianten
Erscheinungsjahr: 2010
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Ehrenwirth
Preis: € 22,99
ISBN: 978-3-431-03807-1
701 Seiten
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