Von fremden Welten und ganz realer Hilfe

Fiktionaler Literatur wird gelegentlich vorgeworfen, sie diene vor allem dem Eskapismus, zur Flucht aus der Wirklichkeit in andere Welten. Es gibt aber Realitäten, aus denen die Flucht nur zu verständlich ist - und manchmal entsteht daraus ganz reale Hilfe.

Beim "komplexen regionalen Schmerzsyndrom" bleibt der Schmerz im wahrsten Sinne des Wortes im Gedächtnis. Nach einer Verletzung, zum Beispiel einem Knochenbruch, "lernt" das Gehirn den Schmerz in der verletzten Region und "verlernt", wie sich die Region nach der Heilung anfühlen "sollte". Konsequenz: Auch wenn die Verletzung schon längst verheilt ist, fühlt der Patient den Schmerz immer noch, und häufig kommt es auch zu Gewebeabbau und anderen Veränderungen.

Was sich hinter dieser eher abstrakten Beschreibung verbirgt, kann die sechzehnjährige Mackenzie Bearup aus Georgia aus eigener Erfahrung berichten: Es fühlt sich an, als würde eine Bombe in ihrem Knie explodieren. Jede Berührung ist wie ein Stich mit dem Messer. Die Schmerzen kommen unregelmäßig und ohne Vorwarnung, und bisher haben die Ärzte keine Heilung gefunden.

Mackenzie Bearup lebt seit sechs Jahren mit der Krankheit. In besonders schlimmen Phasen kann das Mädchen überhaupt nicht laufen und teils monatelang das Bett nicht verlassen. Während dieser Zeiten kann nur eines ihre Gedanken von den Schmerzen ablenken: Lesen. "Wenn ich lese, kann ich wirklich entkommen", meint der Teenager. "Ich versuche, mich in das Buch zu versenken anstelle der realen Welt, wo ich so viel Schmerz empfinde."

Einige Zeit später hörte Bearup vom Murphy-Harpst Children's Center in Cedartown, das schwer mißbrauchte und mißhandelte Kinder betreut. Das Zentrum hatte zwar gerade eine Bibliothek gebaut, es fehlte aber an den Büchern dafür. Und ihr kam der Gedanke, was ihr geholfen hatte, kann vielleicht auch diesen Kindern helfen.

"Ich glaube, jedes Kind, das derartig schrecklichen, intensiven Schmerzen ausgesetzt ist, braucht etwas. Und ich wusste, etwas das mir geholfen hat, waren Bücher." Also spendete sie Bücher, die sie nicht mehr brauchte, an das Zentrum. Sie bat Freunde, Bekannte und Nachbarn, Bücher zu spenden. "Ich bat jeden, den ich kannte, Bücher zu spenden. Und ich bat sie, wiederum ihre Freunde zu fragen", erinnert sich Bearup. Zusätzlich verteilte sie Flyer, schaltete Anzeigen in Tageszeitungen und startete eine Website.

Der Erfolg war überwältigend: Ursprünglich wollte Bearup 300 Bücher sammeln, nach kurzer Zeit waren bereits 3.000 Bücher zusammengekommen. Als die Bibliothek im Murphy-Harpst Children's Center voll bestückt war, dehnte sie die Aktion auf andere Einrichtungen aus wie Unterkünfte für jugendliche Obdachlose oder Opfer häuslicher Gewalt, Kinderheime oder Kinderkrankenhäuser.

"Lesen ist nicht nur eine Flucht, man kann auch viel lernen, und das ist für obdachlose und mißhandelte Kinder sehr wichtig", meint Bearup. "Die High School abzuschließen ist eines der wichtigsten Dinge, um nachher einen Job zu bekommen und für sich selbst sorgen zu können." Die amerikanische High School entspricht etwa der deutschen Klassen 9 bis 12.

Seit 2007 hat Bearup mehr als 38.000 Bücher gesammelt und an 27 Einrichtungen in sechs US-Bundesstaaten gespendet. Ihre Brüder unterstützen sie dabei, die Bücher für verschiedene Altergruppen, Geschlechter und Interessengebiete zu sortieren und in die Einrichtungen zu bringen. Im Jahr 2009 gründete der Teenager mit Hilfe ihrer Mutter eine eigene Non-Profit-Organisation namens "Sheltering Books".

"Manchmal erzählt mir ein Kind, wie gut ihm ein Buch aus einer Bibliothek, die ich aufzubauen geholfen habe, gefallen habe, und das macht mir sehr glücklich", erzählt Bearup. "Ich versuche, Bücher vorzuschlagen, die Kinder gefallen könnten. Und manchmal, wenn ich einem zehnjährigen Mädchen begegne, schlage ich ihr Bücher vor, die ich in ihrem Alter gemocht habe."

Das viel beschäftigte Mädchen hat Listen mit Buchempfehlungen für verschiedene Gruppen und Ziele zusammengestellt, beispielsweise für Handwerke, die mit Büchern zu tun haben oder zur Verstärkung des familiären Zusammenhalts durch Lesen. Und während Bearup nach wie vor ständig mit Schmerzen lebt, tut es ihr gut, anderen helfen zu können.

"Wenn ein obdachloses oder mißhandeltes Kind durch die Bücher, die ich organisiert habe, zum Lesen kommt, dann wird es eher die Schule abschließen und generell sein Leben zum Positiven wenden", ist sich Mackenzie Bearup sicher. "Ich glaube, das Lesen viel bewirken kann."

Quellen: CNN.com, ShelteringBooks.org