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The Stolen Child

Story:
Sie leben in den Wäldern, versteckt vor den Menschen, mehr Fabelwesen als Teil unserer Welt. Aber sie sehnen sich nach unserer Welt, und wenn sie ein passendes Kind finden, nehmen sie seinen Platz ein, stehlen sein Leben. Das entführte Kind muß den Platz des Wechselbalges unter den wilden Kindern des Waldes einnehmen und seinerseits auf seine Chance warten – Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte.

So ist es dem siebenjährigen Henry Day ergangen. Ein Wechselbalg lebt sein Leben als Henry Day, während er selbst schnell der Wechselbalg „Aniday“ wird. Der „neue“ Henry muß seine Eltern, seine Schwestern, seine ganze Umgebung täuschen, um zu überleben. Aber immer wieder taucht das Leben als Wechselbalg in seiner Erinnerung auf – und auch Fragmente aus seinem Leben davor.

Aniday lernt im Laufe der Jahre, im Wald und in der Gruppe zu überleben. Da er der jüngste ist, wird er auf seinen Chance, selbst ein Kind zu entführen, noch lange warten müssen. Währenddessen versucht er, die wenigen Erinnerungsfetzen an sein schon fast vergessenes altes Leben zu bewahren. Und das Vordringen der Zivilisation auch in die entlegensten Gebiete macht das heimliche Überleben der Gruppe immer schwerer.

Meinung:
In einem der bekanntesten Gedichte von William Butler Yeats, „The Stolen Child“, versuchen Feen ein Menschenkind zu sich zu locken. Der gleichnamige Roman von Keith Donohue hat hier seine Wurzen, ebenso wie in den Legenden vom vertauschten Kind, dem Wechselbalg. Daraus spinnt Donohue eine faszinierende Geschichte, oder besser gesagt, zwei faszinierende Geschichten. Henry (nennen wir ihn der Einfachheit halber so) und Aniday erzählen in alterniernden Kapiteln selbst, wie ihr Leben im Lauf der Jahrzehnte verlaufen ist.

Henry wächst anstelle des entführten Kindes bei der Familie Day auf. Dabei muß er sich ständig bewußt sein, daß er eben nicht Henry Day ist. Eine gedankenlose Bemerkung, ein nicht erinnertes Ereignis aus der Zeit vor dem Austausch könnte ihn enttarnen. Aber der „neue“ Henry hat etwas, was der alte nicht hatte – ein enormes musikalisches Talent. Ist das ein Überbleibsel aus seinem eigenen wirklichen Leben, bevor er zu einem der wilden Kinder des Waldes wurde? Wer ist er wirklich?

Aus dem echten Henry Day wird derweil schnell Aniday, ein Wechselbalg. Er muß sich in der Gruppe etablieren und lernen, im Wald zu überleben, während die Zivilisation den Wechselbälgen bedrohlich immer näher kommt. Währendessen versucht er krampfhaft, die wenigen Erinnerungsfetzen an sein altes Leben zu bewahren. Wer ist er wirklich?

Das große Thema ist also Identität. Wer sind wir, und was macht uns dazu? Der ehemalige Wechselbalg lebt als Henry Day, ist er dann nicht Henry Day? Und Aniday lebt wie ein Wechselbalg unter Wechselbälgen das Leben eines Wechselbalgs – ist er dann nicht ein Wechselbalg? Aber beide wissen, daß da noch mehr sein muß.

Es ist der alte Streit zwischen Veranlagung und Umwelt, oder modern ausgedrückt, zwischen Genen und Umwelt. In Henrys Leben ist sein musikalisches Talent sehr wichtig. Aber das stammt noch aus der Zeit, bevor er selbst entführt und durch einen Wechselbalg ersetzt wurde. Hier setzt sich sozusagen die Veranlagung durch, gegen das lange Leben im Wald, und gegen die Form, die Matrize, die der echte Henry hinterlassen hat, und in die der „neue“ Henry sich einpassen muß. Auf der anderen Seiten wird der echte Henry Day immer mehr zu Aniday. Er lebt das Leben eines Wechselbalges – und wird zum Wechselbalg. Seine Identität bestimmt sich aus seiner Umgebung, aus seiner Umwelt heraus.

Abseits dieser Fragen hat Keith Donohue aber auch einfach eine hervorragende Geschichte geschrieben. Henrys und Anidays Erlebnisse fessen den Leser, er freut sich mit ihnen und leidet mit ihnen. Bereits mit den ersten Worten zaubert der Autor seinen Lesern Bilder vor das geistige Auge. Dabei macht Donohue es dem Leser nicht immer leicht: Er schreibt in einem altertümlichen Englisch, das speziell für nicht-englische Muttersprachler einige Male den Griff zum Wörtebuch erfordert. Auch lateinische, deutsche, französische und gälische Brocken sind eingestreut. Insgesamt reicht aber ein nicht zu lange versunkenes Schulenglisch aus.

Abgesehen davon erzählt Donohue seine Geschichte mit einfachen Worten, aber nie simplizistisch. Mit wenigen Strichen hat er seine Figuren umrissen, und sie treten quasi lebendig aus dem Buch hervor. Das gilt nicht nur für Henry und Aniday, sondern auch für wichtige Nebenfiguren. Der Leser kann sich ein Bild von Henrys Vater machen, dem die enorme musikalische Begabung seines Sohnes nicht geheuer ist. Und der Leser kann sich ein Bild machen von Speck, dem Wechselbalg-Mädchen, zwischen dem und Aniday sich eine zarte Romanze entwickelt.

Keith Donohue sagte in einem Interview, ihm sei es vor allem darauf angekommen, die Geschichte endlich „aus sich heraus zu bekommen“. Genauso liest sich „The Stolen Child“, und das ist sehr positiv gemeint. Die Geschichte ist in sich stimmig und rund, als würde sie aus sich selbst heraus existieren, als bräuchte sie im Zweifel weder Autor noch Papier noch Leser. Der Leser kann, für die Zeit in der er in den Seiten blättert, ohne weiteres glauben, hier tatsächlich die Erinnerung von Henry und Aniday vor sich zu haben.

Dazu trägt auch ein interessantes Herstellungsmerkmal bei: Die Seiten wirken unsauber beschnitten, als hätte man ein stumpfes Messer benutzt. Das ist jedoch kein Fehler und Reklamationsgrund, sondern bewußt so gemacht. Dieser sogenannte „rauhe Schnitt“ soll den Eindruck erwecken, das Buch sei alt und quasi handgemacht. Das trägt ebenso zur Wirkung der Geschichte bei wie das gedämpft braune, anheimelnde Coverbild und die altmodische Gestaltung des Buchrückens.

„The Stolen Child“ wurde bereits in diverse Sprachen übersetzt, von einer deutschen Ausgabe ist bisher jedoch nichts bekannt. Es bleibt zu hoffen, daß ein eventueller deutscher Verlag bei Übersetzung, Lektorat und Ausstattung ebenfalls die Liebe und Mühe aufwendet, die das Buch verdient hat. Auf die Leinwand werden es Henry und Aniday übrigens aller Voraussicht schaffen: Der Internet-Händler Amazon wagt mit dieser Geschichte den Schritt in die Produktion von Filmen und hat die Rechte an „The Stolen Child“ erworben.

Fazit:
Eine wunderbare Geschichte, erzählt in punktgenauer, bildhafter Sprache. Deutsche Leser der Original-Ausgabe könnten durch das etwas altertümliche Englisch zu Beginn abgeschreckt sein. Wer jedoch ein wenig Mühe und Geduld investiert, wird mit Sicherheit belohnt werden. Quasi im Hintergrund befaßt sich der Autor mit zentralen Fragen unserer Existenz – Wer bin ich, und was macht mich zu dem was ich bin? Aufgrund dieser Fragen ist „The Stolen Child“ auch nicht für Kinder geeignet, trotz des auf den ersten Blick „sagenhaften“ Themas.

The Stolen Child - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Keith Donohue
The Stolen Child
Originalsprache: Englisch
Erscheinungsjahr: 2006



Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck

Verlag:
Nan A. Talese

Preis:
€ 21,50

ISBN:
0385516169

325 Seiten
Positiv aufgefallen
  • Die unsentimentale, punktgenaue Sprache läßt die Charaktere schon im ersten Satz lebendig werden
  • Donohue behandelt einige der zentralsten Fragen zu unserer Identität, ohne ins Dozieren zu geraten
  • Die Ausstattung des Buches paßt genau zur Geschichte
Negativ aufgefallen
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Rezension vom: 01.10.2006
Kategorie: Fantasy
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