Das andere Berlin - Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867 – 1933
Story:
Der US-Historiker Robert Beachy stellt in seinem Sachbuch "Das andere Berlin" eine mutige These voran: dass die Homosexualität, bzw. die Auseinandersetzung mit dieser Thematik und das Finden einer homosexuellen Identität, erstmals in Deutschland zur Sprache kam - weit vor den Stonewall Vorfällen im New York der 60er Jahre. Acht Kapiteln, die sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik erstrecken, umfasst Beachys Beweisführung, angefangen bei dem Vorkämpfer für Homosexuellenrecht Karl Heinrich Ulrichs, der bereits ab 1867 für die Abschaffung des §175 kämpfte und erstmals offen über Homosexualität redete. Das beginnende 20. Jahrhundert in Berlin, das durch Hirschfelds Forschungen und die Gründung des Wissenschaftlich-humanitäre Komitees (WhK) geprägt war, die sich über Jahrzehnte für die Rechte der Homosexuellen einsetzten, nimmt den Löwenteil des Buches ein, ebenso die Ausschweifungen und die offen schwulen und lesbischen Lebensweise nach dem ersten Weltkrieg.
Meinung:
Robert Beachy hat bereits mehrere
Sachbücher veröffentlicht, die sich der deutschen und
amerikanischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts widmen, wobei
sein Schwerpunkt auf der Historik der Homosexualität liegt. „Das
andere Berlin“ erschien 2014 unter dem Titel „Gay Berlin.
Birthplace of a Modern Identity“ in den USA.
Auf knapp 380 Seiten (die restlichen
Seiten umfassen Anhang und Personenverzeichnis) rollt der Autor die
Geschichte der deutschen Homosexualität auf und konzentriert sich
dabei vorwiegend auf schwule Persönlichkeiten und Wegbereiter. Seine
These, dass die Homosexualität eine deutsche „Erfindung“ sei,
versucht er innerhalb der 8 Kapitel zu belegen, die weitestgehend
chronologisch aufgebaut sind: „Die deutsche Erfindung der
Homosexualität“, „Die polizeiliche Kontrolle der Homosexualität
in Berlin“, „Die erste Bewegung für die Rechte der Homosexuellen
und die Suche nach Identität“, „Die Eulenburg-Affäre und die
Politik des Outings“, „Hans Blüher, die Wandervogel-Bewegung und
der Männerbund“, „Sexualreform in der Weimarer Republik und das
Institut für Sexualwissenschaft“, „Sextourismus und männliche
Prostitution im Berlin der Weimarer Zeit“ und „Die Weimarer
Politik und der Kampf um die Strafrechtsreform“. Mit unzähligen
Tatsachenberichten, Zitaten und historischen Ereignissen arbeitet er
die Geschichte der Homosexualität auf, führt nicht nur die großen
Wegbereiter wie Magnus Hirschfeld, Max Spohr oder Adolf Brand auf,
sondern auch unbekannte Prostituierte, die ihre Freier erpresst haben
oder Ärzte, Autoren und Journalisten, die ab dem beginnenden 20.
Jahrhundert von der Polizei in die Cafés und Treffpunkte
Homosexueller geführt wurden.
Robert Beachy wirft nicht nur einen
Blick auf die Historie, sondern widmet sich auch medizinischen,
soziologischen und kulturellen Aspekten. Seien es die vielen
Beispiele, die er in „Das andere Berlin“ anführt, um die
Geistes- und Ideengeschichte und die Rechtsgeschichte der
entsprechenden Zeit widerzuspiegeln, die Zitate und Berichte
ausländischer Journalisten und Autoren oder der Blick in die
damaligen Treffpunkte – dem Autor gelingt ein umfangreiches
Werk, das die Dynamik der Homosexuellenbewegung in Deutschland sehr
gut wiedergibt und den Leser mit unbekannten Aspekten überrascht,
z.B. die vielfältigen homosexuellen Zeitschriften, die ab dem
ausgehenden 19. Jahrhundert in Berlin und Deutschland erschienen, die
ersten Filme, die sich dem Thema widmeten und den unterschiedlichen
Bündnissen und Vereinigungen, die sich in ihren Ansichten zwar
unterschieden, jedoch alle für die Abschaffung des §175 kämpften.
„Das andere Berlin“ zeigt wie fortschrittlich Deutschland
hinsichtlich der Erforschung und der Akzeptanz von Homosexualität im
Vergleich zum Rest der Welt war. Gerade Leser, die sich über die
historische Entwicklung der Homosexualität informieren wollen,
werden an „Das andere Berlin“ nicht vorbei kommen.
Robert Beachy hat
einen angenehmen Schreibstil, der nicht zu trocken geraten ist und
mit vielen Fallstudien, Anekdoten und Geschichten angereichert ist,
die seine historischen Betrachtungen auflockern. Nie hat man das
Gefühl seinen Ausführungen nicht mehr folgen zu können. Zudem
vermeidet Robert Beachy es in irgendeiner Form wertend zu schreiben,
so dass sich jeder selbst ein Bild von den Persönlichkeiten und
Zuständen der damaligen Zeit machen kann. Er konzentriert sich
einzig und allein darauf seine These mit Fakten und historischen
Belegen zu untermauern.
Fazit:
„Das andere Berlin - Die Erfindung
der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867 – 1933“ ist
ein gelungenes, sehr informatives Sachbuch, das nicht nur Robert
Beachys These untermauert, sondern auch einen sehr fundierten und gut
recherchierten Überblick über die Entwicklung der Homosexualität
vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland liefert. Wer historischen
Sachbüchern nicht abgeneigt ist und mehr über die schillernde Zeit
der 20er Jahre erfahren will, sollte sich dieses Werk nicht entgehen
lassen. Sehr zu empfehlen.
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