Tochter der Schwarzen Stadt
Story:
Wieder zu Besuch bei Schatten, Skorpionen und Magiern Terebin die weiße Stadt ist eine der Städte des Seebundes. Diese aus wirtschaftlichen Interessen geborene Zweckgemeinschaft steht in einem großen Krieg dem Weltreich Orammar gegenüber, das nach dem Tod des letzten großen Skorpionskönigs durch einen Erbfolgekrieg geschwächt ist. Eben diese Stadt ist der Hauptschauplatz des neuen Romans von Torsten Fink.
Treue Leser des Autors oder Genres (ich nenne es mal "Meuchel-Assasinen-Fantasy") haben vielleicht bei dem Wort "Orammar" schon aufgemerkt: Ich durfte für Splashbooks bereits eine Romantrilogie besprechen, die in der gleichen Welt angesiedelt ist. Darin spielten Elementarmagier und magisch begabte Meuchelmörder die "Schatten" neben höfischen Intrigen eine zentrale Rolle. Nun findet sich der Leser kurze Zeit nach den Ereignissen der Trilogie quasi am anderen Ende der fiktiven Welt wieder. Doch die Auswirkungen des heraufbeschworenen Krieges sind auch hier zu spüren.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Roman wunderbar funktioniert, ohne die Trilogie um den Meuchler mit Gedächtnisschwund gelesen zu haben. Allerdings tauchen alte Bekannte auf.
Das doppelte Lottchen Die Thronerbin und einzige Tochter des Herzogs von Terebin soll aus politischen Gründen zum Wohl des Seebundes mit dem grausamsten aller Skorpionsprinzen vermählt werden. Da Prinz Weszen ein grausamer Ruf vorauseilt, möchten der Herzog und vor allem dessen Strategos ein gewitzter Illusionsmagier alles daran setzen, diese Verbindung zu verhindern, allerdings ohne die Macht des Adeligen zu schmälern. Noch während Meister Schönbart über einen Plan brütet, wie er den Kopf der Prinzessin aus der Schlinge ziehen kann, fällt ihm die Protagonistin Alena quasi in den Schoß. Deren frappierende und vielleicht nicht ganz zufällige Ähnlichkeit zur Prinzessin ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans.
Thenar der Strategos verfällt nun auf den Gedanken, die rotzfreche aus einfachen (mafiösen) Verhältnissen stammende Alena gegen die Prinzessin auszutauschen und diese zunächst verschwinden zu lassen, um sie einige Jahre später als entfernte Cousine wieder "auferstehen" zu lassen. Dafür gilt es die gänzlich ungeschliffene und dreist verlogene Heldin zunächst zur Prinzessin zu machen. Dafür wird das einfache Mädchen aus einem Hafenviertel zweifelhaften Rufs auf eine einsame Insel verfrachtet und von Lehrern umgeben, die ihr Tanzen, Reden, Dinieren, Schreiten, Rezitieren und vieles mehr beibringen sollen, was sie fortan wie eine Prinzessin können soll, um alle Gäste auf der beforstenden Hochzeit und nicht zuletzt den Bräutigam selbst zu täuschen, zumindest bis dieser eines plötzlichen Todes stirbt... Dafür bekommt die junge Frau eine fürstliche Belohnung versprochen.
Soweit zu der Mischung aus Aschenputtel und dem doppelten Lottchen, aber Alena findet heraus, dass ihr Leben und das Ihrer nach anfänglichen Schwierigkeiten lieb gewonnen Lehrer nach erfolgreicher Arbeit keinen Pfifferling mehr wert ist, denn sie sind Mitwisser eines riesigen Betrugs.
Meinung:
Das Grundthema des Buches - der Rollentausch-Plan - ist meiner Meinung nach sehr erfrischend. Es geht nicht um die Rettung der Welt, deren Durchführung auf den Schultern einer ausgebüxten Göre aus einer Familie voller Kleinkrimineller liegt, sondern es geht um das Schicksal eines Herrscherhauses und die ehrgeizigen Pläne eines Hofstrategos zwischen deren Mühlen eine nicht ganz durchschnittliche junge Frau gerät. Angenehm bodenständig.
Dazu kommt eine Prise Magie. Allerdings wirklich nur eine Prise, denn im Gegensatz zu der Trilogie rund um die Schatten spielt Magie keineswegs eine zentrale Rolle. Am meisten damit zu tun hat noch Jamade (eine der erwähnten alten Bekannten) die Gestaltwandlerin und Schatten in Personalunion ist. Meister Thenar greift nur selten auf kleinere Illusionen zurück. Das ist einerseits schön, da die Handlung so ohne magische Lückenbüßer auskommen muss, allerdings auch schade, da alles eben nicht ganz so "fantastisch" wirkt.
Der Autor wählt auch für diesen Roman verschiedene Erzählperspektiven. So schaut man mal dem mehr oder weniger freiwilligen Prinzessinindouble Alena, der Schattentochter Jamade oder eben dem Strategos über die Schulter. Die Abschnitte greifen dabei gut ineinander, ohne das der Perspektivenwechsel den Lesefluss stört, allerdings sind ins Besondere die Tagesabläufe und Ränke des Strategos mitunter arg detailliert geraten.
Die Charakterisierungen sind sehr gut gelungen und lassen auch die Figuren abseits von Alena realistisch und vielfältig erscheinen. Da ist zum Beispiel die echte Prinzessin, die allen Männern schöne Augen macht und dadurch sich und ihre diversen Liebhaber immer wieder in heikle Situationen bringt. Oder der Bruder des Grafen, der bis über beide Ohren in die Prinzessin (seine Nichte!) verliebt ist und nun der "ausgetauschten" Prinzessin nachstellt. Gelungen sind aber auch Alenas Lehrer, die zunächst wie typische Hofschranzen wirken, aber im gleichen Maß an Sympathie gewinnen in dem ihnen die Protagonisten zugewandt ist. Neben der Heldin ist der Strategos Thenar wohl die wichtigste und auch die gelungenste Figur. Habe ich den Magus am Anfang der Geschichte noch für einen sympathischen Weisen Berater gehalten, war ich gegen Ende von dessen Wandlung...überrascht. Aus Spoilergründen will ich mich darüber hier nicht auslassen.
Eine ungewöhnliche Handlung, in einer etablierten, konsistenten Welt, verschiedenartigste Charaktere und eine Prise Magie, was will man mehr? Leider hält der Autor das anfangs eingeschlagene Tempo nicht den gesamten Roman durch und so kommt es bei den seitenlangen Beschreibungen der Intrige, Diplomaten-Geplänkel und Tagesabläufe des Strategos doch zu gewissen Längen, die besonders im Mittelteil des Romans etwas Disziplin von mir erforderten. Am Ende wiederum nimmt die Geschichte erneut Fahrt auf und ist dann beinahe schon zu schnell zu Ende. Außerdem schreit das Ende nach einer Fortsetzung. Vielleicht gar eine Trilogie? ;)
Fazit:
Schatten, Magier, eine riesige Welt, neue und bekannte Charaktere sowie eine erfrischende Nicht-Welt-Rettungs-Mission machen den neuen Roman von Torsten Fink trotz einiger Längen lesenswert.
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