Veränderte Vergangenheiten: Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte
Story:
Was wäre, wenn Hitler den zweiten Weltkrieg gewonnen hätte? Wenn das Attentat in Sarajevo fehlgeschlagen wäre? Oder Al Gore Präsident der Vereinigten Staaten geworden wäre.
Meinung:
"Was wäre wenn" ist ein beliebtes Szenario unter vielen Autoren oder Wissenschaftlern. Sich Gedanken machen, wie gewisse Dinge anders verlaufen wäre, hat seinen Reiz. Kontrafaktisches Denken nennt sich dies, und der Autor Richard J. Evans schreibt darüber in seinem Buch "Veränderte Vergangenheiten: Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte".
Der Autor ist ein renommierter Historiker. Er wurde 1947 in Woodford, UK geboren und lebt aktuell in Cambridge. Er ging bei der Forest School zur Schule, machte seinen Master am Jesus College in Oxford, seinen Doktortitel am St. Anthonys College in Oxford und erhielt von der University of East seinen Doctor of Letters. Schwerpunkt seiner Forschungen ist die deutsche Geschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts, speziell die des Dritten Reiches. Besonders durch seine bei dtv erschienene Trilogie über dieses Thema, ist er zu weltweitem Ansehen gelangt. Aktuell ist er Präsident des Wolfson College und Provost am Gresham College.
"Kontrafaktisches Erzählen" definiert Richard J. Evans als eine alternative Version der Vergangenheit, in der auf Grund der Veränderung einzelner Ereignisse die Geschichte zu einem anderen Ergebnis kommt, als gewohnt. Ein Beispiel für solche Geschichten ist "Was wäre geschehen, wenn?", dass hier besprochen worden ist. In seinem Band konzentriert sich der Autor auf die die Entstehungsgeschichte dieser Erzählungen.
Und das ist tatsächlich interessanter, als die Geschichten an sich. So finden sich Hinweise auf solche Erzählungen schon in viele antiken Texten. Und das ist nur eine interessante Information von vielen, die der Autor in seinem Buch dem Leser präsentiert.
Man merkt dem Buch an, dass der Autor sich mit der Materie viel beschäftigt hat. Er zitiert aus vielen verschiedenen Quellen und nennt enorm viele Werke, die alternative Vergangenheiten als Thema haben. Dabei wird man als Leser das eine oder andere Werk kennenlernen, das man selbst als Genre-Fan nicht kennen dürfte.
Dabei verzichtet Evans auf jegliche Fachtermini. Dadurch ist der Text zwar einerseits verständlich. Fachtermini oder ähnliches wird man nur selten vorfinden. Aber es gibt auch Passagen, in denen man genau lesen muss, was genau geschrieben ist. Doch das ist dann auch kein Problem. Denn dann lässt es sich eben nicht vermeiden. Und es verstärkt den Eindruck, dass Evans eben ein Experte ist.
Leider zu sehr. Denn man merkt dem Band wiederholt an, dass der Autor nicht in der Lage ist, sich von seinem Status als Historiker zu lösen. Wiederholt kritisiert er die Werke, weil sie nicht glaubwürdig sind, weil sie andere historische Begebenheiten ignorieren, um ihre Geschichte zu erzählen. Ihm geht es um Plausibilität, Nachvollziehbarkeit. Die Erzählungen, so hat man den Eindruck, sind für ihn zwar manchmal unterhaltsam. Doch überwiegend ärgert er sich darüber, dass sie die Geschichte für ihre eigenen Zwecke zu Recht biegen. Und das begründet er wortreich.
Schade, dass dem so ist. Denn so ist das Buch nur zum "Reinschauen" zu empfehlen.
Fazit:
Richard J. Evans beschäftigt sich in "Veränderte Vergangenheiten: Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte" mit der Vergangenheit von "Was wäre, wenn?"-Szenarien. Und tatsächlich sind seine Entdeckungen und Eindrücke interessanter, als die Geschichten an sich. Man kriegt viele interessante Informationen präsentiert und man merkt dem Band an, dass der Autor sich mit der Materie beschäftigt hat. Dabei verzichtet er nahezu auf Fachtermini und wählt einen Sprachstil, der zwar manchmal nicht einfach zu verstehen ist, aber überwiegend leicht zu verstehen ist. Schade nur, dass er zu sehr aus der Sichtweise eines Wissenschaftlers, eines Historiker schreibt und so an jedem Werk alternativer Historie etwas auszusetzen hat.
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