Die Schriften von Accra
Story:
Vor den Toren Jerusalems bezieht das übermächtige Heer der Kreuzritter Stellung. Am Vorabend der entscheidenden Schlacht versammeln sich die Verteidiger der Heiligen Stadt um einen sich Kopte nennenden Griechen. Sie stellen Fragen über das Leben, den Tod, Liebe und Hass, die der weise Mann auf seine gänzlich besondere Art zu beantworten weiß...
Meinung:
Paulo Coelhos Werke stecken voller Mystik und Spiritualität, so lauten die Vermarktungsfloskeln. In seinen Arbeiten finden sich tatsächlich religiöse Ansätze und Ideale einer vielschichtigen Weltanschauung, die er gewandt in Worte kleidet. Seine märchenhaften Geschichten sind stets Plädoyers für mehr Menschlichkeit, gegenseitige Anerkennung, respekt- und würdevollen Umgang miteinander. Das ausgewogene Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu anderen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten. Soweit so gut.
Für viele ist so etwas sicherlich lesenswert und behilflich, schwere Phasen zu überstehen oder einfach ein Behelfsmittel, Ruhe und Kraft schöpfen zu können. Für Menschen, die sich Coelho öffnen, funktioniert sein Mutmacher-Schrieb bestens. Und so finden sich auch in Coelhos "Schriften von Accra" zahlreiche Passagen, die den Leser über Weltsicht und Lebenseinstellungen nachdenken lassen. Das Setting ist denkbar einfach: Verzweifelte und entmutigte Menschen kommen im von feindlichen Truppen umzingelten Jerusalem zusammen, um in dieser hoffnungslosen Situation Ängste und Wünsche mit einem weisen Mann, dem Kopten, zu besprechen.
Coelhos Kopte gehört keiner Religion an, vertraut jedoch einer göttlichen Kraft. Seine Zuhörer sind Angehörige diverser Glaubensrichtungen. Das ist ein geschickter Kniff des Autoren, der damit jeden gläubigen Menschen "ins Boot" holt und nicht durch eine definitive religiöse Tendenz Andersgläubige von vorne herein aussperrt bzw. verliert. Soviel zum Ansatz, der nicht uninteressant erscheint. Was Coelho folgen lässt, vermag die Meinungen zu spalten. Kritiker seines bisherigen Schaffens wird der Autor damit keinesfalls für sich gewinnen können.
Auf der anderen Seite stehen Coelhos Stammleser, die jeden Satz des wortgewandten Verfassers in sich aufsaugen wollen. Verständlich ist das, weil Sätze wie "Die Augen sind der Spiegel der Seele, und sie spiegeln nicht nur Verborgenes wider, sondern sind auch ein Spiegel für diejenigen, die in sie blicken" die Gedanken mannigfaltig anregen. Ebenso die Antwort des Kopten auf die Frage eines jungen Mannes, der seinen Weg noch nicht gefunden hat: "So wie die Sonne sendet auch das Leben sein Licht in alle Richtungen. Um Feuer zu machen, muss man die Strahlen der Sonne in einem Punkt bündeln". In poetische Formulierungen verpackte Lebenshilfe, für die sich viele begeistern können. "Die Schriften von Accra" ist gleich nach Erscheinen auf den vorderen Plätzen diverser Rankings eingestiegen - allemal lukrativ für Autor und den veröffentlichenden Diogenes Verlag. Der hat aus dem Text übrigens eine 192 Seiten umfassende Hardcoverausgabe gemacht, die den hohen Verarbeitungsmaßstäben (starkes Papier, wertiger Umschlag, gute Bindung) des Verlages entspricht.
Natürlich findet Lebensberatung und Mutmacher-Lektüre der hier dargebotenen Marke in Zeiten globaler Ungerechtigkeit und allgemeiner Machtlosigkeit des kleinen Mannes ihre Leserschaft. Vielen mag das "Kopf hoch" und "arbeite an Dir selbst, dann kommt der Erfolg von ganz alleine"-Gehabe des Autoren Kraft geben, sich Herausforderungen zu stellen, doch manchen eben auch nicht. Ein Wunderhilfsmittel sind diese Anregungen nämlich noch lange nicht. Kritiker sprechen sogar von rückhaltlosem Geschwafel! Soweit muss man nicht gehen. Aber festzuhalten bleibt, dass Coelho inhaltlich hier nicht viel zu bieten hat. Eine Geschichte gibt es nur am Rande. Dafür findet der Leser ein auf 192 Seiten aneinander gereihtes Frage- und Antwortspiel. Für manch einen bietet das spannende Denkanstöße, andere werden wegen der dauerhaft gleich bleibenden Struktur schnell das Interesse am Buch verlieren.
Coelho baut zu einseitig auf Selbstreflektion und der andauernde Ansporn, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, ist durchaus kritisch zu sehen und stellenweise auch fehl am Platz. Wer die Diagnose einer schweren Krankheit verdauen muss, braucht mehr als "Kopf hoch, Mut fassen" und "Du schaffst das schon, wenn Du dir selbst in den Hintern trittst"-Parolen. Insgesamt erscheint das Gebotene als zu dünn und zu wenig, wenn der Leser eine Geschichte erwartet - für nach schönen Worten Suchenden, geht hier die Sonne auf. Dennoch gehen Problemlösungsstrategien nicht weit bzw. tief genug. Wer sich an poetischen Sätzen erfreut, die im Geiste sicher nachhallen, wird mit dem vorliegenden Buch keinen Fehlgriff tätigen. Menschen mit Bedürfnis nach Hilfe und Lösungswegen lesen häufig "Steh' auf, wenn Du am Boden bist" - als wenn das der Schlüssel zu Gesundheit und Glückseligkeit wäre...
Fazit:
"Die Schriften von Accra" von Paulo Coelho bringt poetische Sätze und allerlei aufbauende Worte mit. Die brauchen die Verteidiger des von feindlichen Truppen belagerten Jerusalem auch dringend. Ebenso sind Leser mit dem Bedürfnis nach Coelhos warmen Worten mit dem Büchlein aus dem Diogenes Verlag auf der sicheren Seite. Eine Erzählung suchen diese allerdings fast vergebens. Viel mehr als Anregungen zur Selbsthilfe hat das Buch nicht zu bieten. Wege und wahrhaftige Problemlösungsstrategien finden sich nur ansatzweise. Daher ist das Werk ein für die innere Gedankenwelt anregendes Lesebuch geworden, das jedoch mehr Bedeutung gewonnen hätte, würde auf die zweifellos schönen Sätze öfter Nachhaltiges folgen.
|