Sir John und Bruder Athelstan 06: Das Parlament der Toten
Story:
Im Frühjahr 1380 sieht es nicht gut aus für Englands Herrscher. Die Reden über einen Aufstand der niedergedrückten Bauern werden wieder lauter, und auch das Parlament erweist sich als widerspenstig. John von Gaunt, der als Regent für den noch minderjährigen König Richard II. die Staatsgeschäfte führt, benötigt dringend zusätzliche Steuern für den Krieg gegen Frankreich und Spanien. Dazu bräuchte er die Zustimmung des Parlaments, aber viele mächtige Abgeordnete sind gegen ihn. Als dann noch zwei der Parlamentarier, die am lautesten gegen Gaunts Forderungen opponiert haben, tot aufgefunden werden, droht die Stimmung endgültig zu kippen. Coroner Sir John Cranston und dessen Schreiber, der Dominikaner Bruder Athelstan, müssen den Fall schnellstmöglich klären. Dabei haben sie auch so genug zu tun: In London verschwinden Katzen, und in Athelstans Pfarrkirche wird ein leibhaftiger Dämon gesehen...
Meinung:
Der Kessel, aus dem eine gute Getreideernte und damit sinkende Brotpreise zuletzt noch einmal etwas Druck nehmen konnten, scheint jetzt kurz vor der Explosion zu stehen: In den Straßen murrt das einfache Volk immer lauter über die Edelleute, die sie bis zum Letzten auspressen. Diesmal ist die Ernte sehr schlecht ausgefallen, und Brot kostet das dreifache von dem, was man noch vor kurzem bezahlen musste. Die Pläne zum Umsturz werden konkreter, denn "Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" Gleichzeitig muss sich der Regent John von Gaunt mit einem widerspenstigen Parlament herumschlagen. Er benötigt dringend höhere Steuern, aber die wollen die Abgeordneten ihm nur genehmigen, wenn er im Gegenzug weitreichende Zugeständnisse macht. Dann werden zwei von den Abgesandten, die sich am lautesten gegen Gaunts Forderungen ausgesprochen hatten, ermordet. Es ist nicht schwer zu erraten, welches Gerücht sofort die Runde macht: Der Regent habe die Parlamentarier umbringen lassen, weil sie gegen ihn gearbeitet hatten.
Es ist also eine ebenso politisch wie sozial hochbrisante Lage, in der Sir John und Bruder Athelstan diesmal einen Mörder fangen müssen. Daraus zieht "Das Parlament der Toten" einen Gutteil seiner Spannung. Damit hat Autor Paul Harding einen guten Ersatz gefunden für das Hauptspannungsmittel der ersten Bände, nämlich die persönliche Involvierung der Ermittler. Denn schließlich können Sir John und Bruder Athelstan nicht in unzählige geheimnisvolle Morde direkt verwickelt sein. Auch ein weiteres Kennzeichen der bisherigen Romane der Reihe tritt hier weniger ausgeprägt auf: Es ist bei den meisten Taten kein großes Geheimnis, wie der Täter sie begehen konnte. Das große Rätsel in diesem Abenteuer ist, neben der Identität des Mörders, vor allem sein Motiv. Dazu benutzt der Autor einen Kunstgriff und lässt die Ursache der Morde in der Vergangenheit der Abgeordneten liegen, die aus dem entfernten Shropshire zur Parlamentsversammlung nach London gekommen sind.
Die Auflösung, die dem Leser am Ende präsentiert wird, kann überzeugen, nicht zuletzt durch die klug gesponnenen Intrigen, mit denen sich ein Dritter die Morde zu nutze macht. Die Art, wie Athelstan den Täter aus der Reserve lockt, passt nicht ganz zur bisherigen Charakterisierung des Ordensbruders, der in dieser Geschichte insgesamt öfter als gewohnt seine Ausgeglichenheit verliert. Aber die Szene fügt sich gut in die Handlung ein und fällt daher nicht wirklich unangenehm auf. Eine weitere positive Veränderung ist, dass die Erzählperspektive häufiger wechselt als in den früheren Folgen der Reihe. Bisher erlebte man die Geschichten vor allem durch die Augen von Bruder Athelstan, gelegentlich durch die John Cranstons, nur selten durch die Augen von jemand anderem. In "Das Parlament der Toten" wird die Handlung aus der Sicht einer ganzen Reihe von Figuren geschildert. Dadurch weiß der Leser gelegentlich mehr als Sir John und Bruder Athelstan, was sich positiv auf die Spannung auswirkt.
Wer schon die vorherigen Romane der Serie gelesen hat, wird sich auch über ein Wiedersehen mit der ganzen Riege an Nebenfiguren freuen, die Harding in Stellung gebracht hat. Harding schafft es auch, mit einer im Nachhinein offensichtlich scheinenden Verbindung die Geschehnisse in Athelstans Gemeinde sowie im Parlament und am Hofe gut zu verknüpfen.
Das Ende könnte zu dem Schluss führen, dass es sich hierbei um das letzte Abenteuer von Sir John Cranston und Bruder Athelstan handeln könnte. Das wäre schade, denn der Autor hat in diesem Roman offenbar gerade die "Schiene" gefunden, in der man gerne weitere Geschichten um das ungleiche Ermittlerpaar lesen möchte. Aber die Fans können beruhigt sein: Der Coroner und sein Schreiber werden weiter auf Mörderjagd gehen.
Fazit:
Nach einem nicht so gelungenen Abenteuer scheint Paul Harding für sein ungleiches Ermitterpaar den richtigen Weg gefunden zu haben. Es gibt einige kleinere Veränderungen, die sich aber insgesamt positiv auswirken.
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Paul Harding
Sir John und Bruder Athelstan 06: Das Parlament der Toten
House of Crows
Übersetzer: Rainer Schmidt
Erscheinungsjahr: 1999
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Knaur
ISBN: 978-3426630921
295 Seiten
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