Das Sakriversum
Story:
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts wird eine Kathedrale im neuen, gotischen Stil errichtet. Niemand weiß jedoch, dass sich unter dem Dach des Gotteshauses ein Geheimnis verbirgt: Ein zusätzlicher großer Raum, der einem Zwillingspaar als Zuhause dienen soll.
Sieben Jahrhunderte später. Die beiden Kinder haben Nachkommen gezeugt, und im versteckten "Sakriversum" in der Kathedrale leben inzwischen zwölf Familien, die sich selbst "Schander" nennen. Wie schon so oft, wenn "draußen" Krieg oder Seuchen das Land verheerten oder die "Weltlichen" dem Sakriversum zu nahe kamen, haben sie sich in den tiefen Kellern versteckt.
Aber diesmal könnte der Rückweg zu schwierig für die geschwächten Schander sein, und das Gift des "Weins der Letzten Gnade" scheint als einziger Ausweg. Doch zwei junge Geschwister wollen nicht in den Tod gehen.
Außerhalb der Kathedrale ist die Menschheit inzwischen am Ende angekommen. Ein Atomschlag hat alle Menschen getötet, die Stadt ist eine Geisterstadt. Nur durch einen unglaublichen Zufall hat Goetz von Coburg schwer verletzt überlebt. Hat die Menschheit eine Chance auf einen Neuanfang?
Meinung:
Thomas R. P. Mielke gilt als einer der erfolgreichsten Autoren historischer Romane in Deutschland. Er konnte aber auch in der Phantastik Erfolge feiern. "Das Sakriversum" verbindet in gewisser Weise diese Gebiete seines Schaffens.
Formal ist der Roman sicher der Science Fiction zuzuordnen, allerdings fühlt er sich nicht wie eine "klassischer" SF-Geschichte an. Stattdessen wirkt das Buch wie ein Mix aus einem historischen und einem Fantasy-Roman. Die Schander leben, auch im Jahr 2018, weitgehend wie im Mittelalter, als Lancelot und Gudrun im Sakriversum vor der Welt verborgen wurden. Manche von ihnen besitzen Fähigkeiten, die übernatürlich erscheinen, beispielsweise regelrecht telepathische Fähigkeiten. Außerdem wusste der Baumeister der Kathedrale nicht nur, wie man verborgene Räume einbaut, sondern kannte auch unzählige alchemistische Geheimnisse.
Die Ausgangssituation ist sehr fantasievoll. Die Geschichte der Schander hätte alleine einen Roman tragen können, ebenso wie die Geschichte der Bankerts oder die Dystopie um Goetz von Coburg. Mielke verbindet all das geschickt zu einer einzigen Geschichte, die man durchaus als Epos bezeichnen kann. Dabei legt er verschiedene Eigenschaften seiner Welt nicht einfach fest, sondern begründet sie meist sinnvoll und stimmig. Die zwölf Familien finden beispielsweise im Sakriversum überhaupt nur Platz, weil sie inzwischen winzig klein sind, kaum größer als zwanzig Zentimeter. Das liegt zum einen an der vorherrschenden Inzucht, die Geschwisterehe wie bei ihren Anherren ist strenge Pflicht. Zum anderen zeigt das Blei seine Wirkung, mit dem die Wände des Sakriversums gegen die die bedrohliche Außenwelt abgeschirmt sind. Das Blei wiederum ermöglicht es den Schandern auch, den Atomblitz überhaupt zu überleben.
Der Erzählstil ist erfreulich bildhaft, allerdings eher zurückhaltend. Während andere Autoren den Leser regelrecht an die Hand nehmen und in ihre Geschichten hineinziehen, muss man bei Mielke quasi von sich aus hineingehen. Aber die Mühe lohnt, und man wird mit einer abenteuerlichen Geschichte belohnt. Die Figuren sind gut ausgebaut und stimmig dargestellt. Bei anderen Werken des Autors, beispielsweise "Befehl aus dem Jenseits", merkte man ja sehr stark, welcher Charakter welche Rolle in der Geschichte übernehmen sollte. Das ist ein Stück weit auch in "Das Sakriversum" der Fall, aber diesmal sind Mielke die Figuren auch über ihre reine Funktion hinaus glaubwürdig gelungen. Gelegentlich zeichnet der Autor hier mit etwas dickem Strich, wenn beispielsweise der einzig überlebende Mensch außerhalb der Kathedrale schon vor dem Krieg wie aus der Zeit gefallen ist. Nun ist die Zeit um ihn herum weggefallen, zerfallen.
Negativ fällt eine gewisse Schludrigkeit im Lektorat auf. Kaum ein Buch wird vollkommen frei von Tippfehlern sein, aber in "Das Sakriversum" finden sich einige Exemplare dieser Art, die bei sorgfältiger Arbeit eigentlich hätten auffallen müssen. In eine ähnliche Richtung geht es, wenn sich der Autor beim kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte des Sakriversums mal eben um 100 Jahre vertut: Auf die Ereignisse der 1290er Jahre folgen die Jahre 1204 oder 1206, und anschließend wird das Sakriversum 1318 vollendet. Das ist an sich kein großes Manko, aber so ein Fehler hätte vor dem Druck bemerkt werden müssen.
"Das Sakriversum" wurde mit dem Kurt-Laßwitz-Preis als bester Roman des Jahres 1983 ausgezeichnet. Das mag aus heutiger Perspektive etwas hochgegriffen sein, aber eine gute Abenteuergeschichte mit historischen und phantastischem Einschlag bietet der Roman allemal.
Fazit:
Ein guter Science Fiction-Roman im Gewand einer historischen Abenteuergeschichte mit phantastischem Einschlag. Wer sich sozusagen selbst in die Geschichte hineinbegibt, wird belohnt. Einige Schludrigkeiten im Lektorat trüben jedoch den Lesegenuss.
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Thomas R. P. Mielke
Das Sakriversum
Erscheinungsjahr: 1994 (diese Ausgabe)
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
rororo
ISBN: 3-499-13414-4
489 Seiten
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