Die Jagd auf die Venus und die Vermessung des Sonnensystems
Story:
Es war das ehrgeizigste, wissenschaftliche Projekt des 18. Jahrhunderts: Die Beobachtung des Venus-Transits und daraus resultierend die Vermessung des Sonnensystems. Wie war es möglich in einer Zeit, in der ein Brief von Amerika nach Großbritannien drei Monate brauchte und Uhren nicht exakt liefen, fast die gesamte westliche Wissenschaftswelt zu einem einzigen, gemeinsamen Ziel zu vereinen?
Meinung:
Man kennt es nicht anders, als dass die Wissenschaftler der Welt länderübergreifend kooperieren. Ohne diese Zusammenarbeit wären Projekte wie die Marssonde "Curiosity" auch überhaupt nicht machbar. Da ist es interessant wenn man erfährt, wie es früher war. Die Autorin Andrea Wulf liefert in ihrer wissenschaftlichen Biographie "Die Jagd auf die Venus" einen Eindruck in die Verhältnisse von damals.
Frau Wulf wurde 1972 in Neu Delhi, Indien geboren, kam als Kind nach Deutschland, ehe sie als Studentin nach England zog und dort auch blieb. Sie studierte Design History am Royal College of Art in London. Sie arbeitet als Schriftstellerin und hat unter anderem für die Sunday Times geschrieben. "Die Jagd auf die Venus" ist ihr viertes Buch und gleichzeitig auch ihr Deutschland-Debüt.
Der britische Astronom Edmond Halley schrieb 1716 einen zehnseitigen Aufsatz an seine Kollegen. In diesem rief er sie dazu auf, ein weltweites Projekt auf die Beine zu stellen. Denn am 6. Juni 1761 würde die Venus an der Sonne vorbeiziehen und für wenige Stunden als dunkle Scheibe auf dem Hintergrund des Gestirns zu sehen sein. Durch die Messung dieses Ereignisses wäre es möglich, das Sonnensystem zu vermessen.
Es ist ein kühnes Vorhaben und vor allem eins, welches die finanziellen Mittel der beteiligten Organisationen deutlich übersteigt. Doch davon ließen sie sich nicht unterkriegen und wandten sich an ihre Herrscher. Jene waren häufig von der Idee begeistert und unterstützten die Astronomen finanziell. Es folgten anstrengende Wochen und Monate, während der viele Wissenschaftler sich in der gesamten Welt verbreiteten, um den Transit zu beobachten. Nicht immer lief alles glatt, und die Ergebnisse waren manchmal auch unzufrieden stellend. Doch beim zweiten Transit sollte alles besser gemacht werden. Allerdings gab es dort ebenfalls unvorhergesehene Probleme, und nicht jeder beteiligte Wissenschaftler überlebte die Expedition. Doch am Ende stand eine grandiose Leistung und die erste wissenschaftlich fundierte Vermessung des Sonnensystems.
Man kann es sich heute fast gar nicht vorstellen, wie die damaligen Menschen lebten. Denn zu jenen Zeiten, im 18. Jahrhundert, war Europa in diverse Kriege verwickelt und künstliche Elektrizität nur ein kühner Traum. Auch die Distanzen zwischen einzelnen Städten wirkten größer als heute. Das lag daran, dass es wesentlich schwieriger war, von A nach B zu gelangen.
Umso mehr wächst der Respekt, den man vor den Leistungen der damaligen Wissenschaftler haben muss. Was sie mit ihren Mitteln leisteten, ist einfach nur unglaublich. Nicht nur gelang es ihnen, eine internationale Kooperation in die Wege zu leiten. Nein, sie reisten ebenso mit den primitivsten Mitteln und sehr empfindlichen Instrumenten in die entlegensten Winkeln der damals bekannten Erde.
Die Leistung von Frau Wulf besteht vor allem darin, dass es ihr gelingt, dem Leser jenes ferne 18. Jahrhundert lebhaft näher zu bringen. Dies schafft sie auf eine uneindringliche Art und Weise. Sie betont gar nicht die Unterschiede zwischen damals und heute, sondern schreibt sie als Fakt nieder, so dass man als Leser es ebenfalls als solchen akzeptiert.
Den Venus-Transit beobachteten jede Menge Personen. Und Frau Wulf liefert nur einen Überblick über die Allerwichtigsten. Dennoch ist dies immer noch eine ungeheure Menge an Namen, die wenigsten mit einem kurzen Lebenslauf versehen werden müssen. Das man dabei nicht den Überblick verliert, muss man ihr hoch anrechnen.
Sehr löblich ist auch das zusätzliche Material, welches sie mit in den Band eingefügt hat. Karten und Illustrationen verdeutlichen die damalige Welt, eine Liste aller Personen die die Transits beobachteten füllt beinahe ein Viertel des gesamten Buches, und dass neben Quellenmaterial auch eine Liste an weiterführender Lektüre vorhanden ist, macht "Die Jagd auf die Venus" schon fast zu einem Pflichtkauf.
Doch gibt es einen Wehrmutstropfen. Denn stellenweise liefert die Autorin zu viele Informationen, von denen einige mit dem Transit an sich nur am Rande zu tun haben. Vielmehr dienen sie dazu, Atmosphäre zu erzeugen. Allerdings irritiert es, wenn man beispielsweise erfährt, dass ein Wissenschaftler reichlich Nutzen aus der freizügigen und anscheinend recht willigen weiblichen Ureinwohnerschaft zog.
Einerseits versteht man zwar, wieso Frau Wulf diese Fakten mit einbaute. Andererseits lenken sie doch vor allem gegen Ende des Biographie-Teils stark vom eigentlichen Geschehen ab. Deshalb kriegt der Band auch nur ein "Reinschauen".
Fazit:
"Die Jagd auf die Venus und die Vermessung des Sonnensystems" ist das Deutschland-Debüt der Autorin Andrea Wulf. In ihrem Buch schafft sie es, dem Leser einen gelungenen Eindruck darüber zu geben, wie die Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts es über alle Grenzen hinweg schafften, gemeinsam den Venus-Transit zu beobachten und zu vermessen. Die Schriftstellerin liefert ein beeindruckendes Bild der damaligen Zeit, ebenso wie es ihr auch gelingt, trotz der Vielzahl an wichtigen Personen, den Überblick zu behalten. Nur viele überflüssige Infos stören das positive Gesamtbild.
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