Der Kinderdieb
Story:
Das Buch beginnt mit verstörenden Szenen. Es geht um misshandelte und vernachlässigte Kinder an der Grenze zum Teenager-Alter. Der Leser erlebt hautnah mit, welchen schrecklichen Situationen diese jungen Menschen ausgeliefert sind. Im New York der Gegenwart braucht ein Kinderdieb nicht lange nach einsamen, alleine gelassenen oder einfach nur missverstandenen Kindern suchen und Peter hat Jahrhunderte lange Übung darin. Ein schlanker Junge mit seltsam spitzen Ohren und leuchtend gelben Augen pirscht durch die Großstadt.
Nick ist eines dieser Kinder. Sein Vater ist schon einige Jahre tot und seine Mutter schlägt sich mit ihm alleine durch. Als einige junge Männer bei ihnen zur Untermiete leben wollen, scheint dies eine gute Idee zu sein, ist doch das Geld immer knapp. Doch bald stellt sich heraus, dass es sich um eine Bande von Drogendealern handelt. Für Nick beginnt eine schlimme Zeit. Er fühlt sich zu Hause zunehmend unsicher und ist verbittert. In dieser Situation begegnet ihm Peter. Und dessen Geschichten von einem Schloss in dem Kinder friedlich gemeinsam wohnen und spielen, erscheint dem Ausreißer als letzter Ausweg. Auf verschlungenen Pfaden bringt der rothaarige seltsam agile Junge seinen neuen Freund zu einem gar nicht so einladenden Ort: Dem Teufelsbaum.
Hier mitten in Avalon leben Sie: Die "Teufel" sind ein von Peter angeführter Clan von Kindern, die nicht altern und ihn beinahe wie einen Gott zu verehren scheinen. Schnell findet Nick heraus, dass es auch hier strenge Regeln und eine klare Hierarchie gibt. Von Peter angeführt, sollen die Teufel alles riskieren um die sagenumwobene Insel Avalon vor den sogenannten Fleischfressern zu beschützen. Diese sind vor dreihundert Jahren gestrandete Piraten. Peter ist der Dame vom See derart ergeben, dass er bereits Generationen von Kindern für sie in den Tod führte. Doch das könnte die letzte Schlacht um Avalon werden, denn das Land selbst beginnt zu sterben.
Meinung:
Peter Pan kennt wohl jeder... Dieser Junge dessen Lachen so ansteckend ist und der keinen Erwachsenen fürchtet. Der spitzohrige Schelm kann fliegen und lebt gemeinsam mit den verlorenen Jungs ewig jugendlich im Nimmerland. Unvergesslich ist wohl auch Robin Williams in "Hook". Dieser Peter hat etwas von Robin Hood. Voller Heldenmut und doch so unschuldig wie ein Kind, flog ihm nicht nur Wendys Herz zu, die ihm seinen ersten Kuss schenkte. So viel zu der heutzutage populären Geschichte der Figur.
James Barrier dem Erfinder der Figur schwebte vor etwa einem Jahrhundert wohl etwas ganz anderes als Disneys vergnügter, leicht verdaulicher, Familienfilm vor. Brom der Autor und Illustrator (Doom2, World of Warcraft, Van Helsing…) von "der Kinderdieb" zeichnet in dem vorliegenden Roman einen solchen, gänzlich anderen Peter.
In Broms Version von Peter Pan handelt es sich definitiv nicht um ein Kinderbuch. Von der ersten bis zur letzten Seite spannend, schildert der Autor eine Welt voller Ablehnung, Vereinsamung und kompromissloser Gewalt. Das wirkt zunächst schockierend, gerade da Kinder im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Die Angst und Ausweglosigkeit, die insbesondere Nick einer der Protagonisten des Romans empfindet, als er von zu Hause wegläuft, ist beinahe greifbar. Gewalt wird ins Besondere in den Kämpfen der Kinder gegen die "Fleischfresser" großzügig als Stilmittel eingesetzt. Die Geschichte wirkt dadurch nicht unbedingt billig, der Autor schränkt jedoch die Zielgruppe auf weniger zart besaitete Gemüter ein.
Während Peter durch die Stadt streift und neue Kinder für seine "Armee" sucht, schweifen dessen Gedanken zurück zu seiner Kindheit. Peter ist bereits mehrere Jahrhunderte alt und verbrachte einen Großteil dieser Zeit auf der sagenumwobenen Insel Avalon. Diese gedanklichen Streifzüge in Peters Vergangenheit verleihen dem Charakter Tiefe und der von ihm ausgehenden Faszination etwas Morbides. Als kleines Kind wurde Peter von den Menschen, allen voran seiner Mutter, verstoßen, da er anders war. Dieses spitzohrige Kind mit den goldenen Augen musste ein Dämon sein… Nach einer ungewöhnlichen Kindheit in den Wäldern fand der noch immer junge Peter durch einen Zufall den Weg nach Avalon. Hier erlag er dem Zauber der Dame vom See, der fortan sein weiteres Leben bestimmen sollte.
Peter Nick und auch einige andere der "Teufel" gewinnen durch Broms Schilderungen viel an Charakter und wirken lebendig. Was der Geschichte allerdings ihren besonderen Reiz verleiht, ist die gekonnte Vermischung unterschiedlichster Mythen und Legenden zu einer konsistenten Geschichte. Geschickt versteht es Brom sich sowohl der Elemente aus der Romanvorlage James Barriers als auch bei der Artus-Legende und nordenglischen bzw. skandinavischen Fabelwesen zu bedienen.
Nick glänzt durch innere Stärke ohne unnatürlich heroisch zu wirken. Er hat Angst und das artikuliert er auch. Hinter der Kriegsbemalung und wilden Schlachtrufen verbergen sich eben "nur" Kinder. Der unfreiwillige Held unterscheidet sich in erster Linie dadurch von den anderen Teufeln, dass er die vollkommene Hörigkeit gegenüber Peter und wiederum dessen sklavische Ergebenheit an die Dame vom See hinterfragt. War zu Hause wirklich alles so viel schlimmer als hier?
Wirklich interessant sind auch die "Nachbemerkungen des Autors", in denen der gebürtige mittlerweile in Seattle lebende Amerikaner erklärt, welche Figuren welchem Kulturkreis entspringen und was man in ihrer ursprünglichen Variante mit ihnen verknüpfte.
Da Brom nicht nur Autor der Geschichte sondern auch Illustrator ist, glänzt das vorliegende Buch außerdem durch zahlreiche, gruselige schwarzweiß Illustrationen zu Beginn jedes Kapitels. Einen besonderen Höhepunkt stellen darüber hinaus farbige Charakterdarstellungen auf Hochglanzpapier in der Mitte des Buches dar. Hier bekommt der Leser einen Einblick, wie der Autor sich seine Geschöpfe vorstellt. Das ist etwas Besonderes.
Fazit:
Brom erschafft knisternde Spannung von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist faszinierend den anderen Peter Pan kennen zu lernen und mit zu erleben, wie ein Ausreißer in einer extremen Situation Stärke beweist und zu sich selbst findet. Die tollen Illustrationen tun ein Übriges um die düstere Adaption dieses Klassikers zu einem Splashhit werden zu lassen.
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