Der Fluch des Hirschgottes. Ein Fall für Medicus Ruso
Story:
Nach den Ereignissen, von denen Tod einer Sklavin berichtet, will sich Medicus Ruso erst einmal aus allen Schwierigkeiten heraushalten. Eine gute Gelegenheit dazu scheint zu sein, sich freiwillig zu einem Unterstützungstrupp für das Militärlager von Coria zu melden. Auf dem Marsch in den Norden, direkt an die Grenze zum nie eroberten Teil Britanniens, sind keine nennenswerten medizinischen Herausforderungen zu erwarten. Außerdem liegt das Lager ganz in der Nähe des Ortes, an dem Tilla früher mit ihrer Familie lebte.
Die Hoffnung auf Ruhe erweist sich jedoch schnell als vergeblich. Die Stimmung an der Grenze ist äußerst angespannt, regelmäßig kommt es zu Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Römern. Ein angeblicher Bote der Götter heizt die Lage noch weiter an. Eine Revolte liegt in der Luft.
Möglicherweise hat sie schon ihr erstes Opfer gekostet, als ein Legionär ermordet aufgefunden wird. Ruso kommt gerade recht, die offizielle Version der Geschehnisse ärztlich zu bescheinigen. Danach hat ein Brite, der mit dem Soldaten schon länger Streit hatte, die Tat begangen. Außerdem soll der Medicus den Arzt des Militärlagers wieder zur Vernunft bringen. Der hat nämlich offenbar den Verstand verloren und bezichtigt sich selbst als Mörder, was seinen Vorgesetzten überhaupt nicht recht ist. Aber Ruso ist nicht bereit, die ihm vorgelegte Sichtweise einfach so abzusegnen. Er beginnt Nachforschungen anzustellen, womit er bald mehr Staub aufwirbelt als einigen skrupellosen Zeitgenossen recht ist.
Meinung:
Nach dem gelungenen Auftakt legt Ruth Downie mit dem zweiten Band ihrer Serie um den Militärarzt Ruso und seine britannische Gefährtin Tilla nach. Auch in "Der Fluch des Hirschgottes" erzählt sie eine spannende Geschichte aus dem Britannien unter römischer Herrschaft zur Zeit Kaiser Hadrians. Der Schauplatz ist dabei mehr oder weniger der allernördlichste Zipfel des Imperiums, wo einige Zeit später der Hadrianswall Römer und Einheimische voneinander trennen wird. Im Moment ist die Grenze aber noch kaum gesichert, um den Handel zu erleichtern. Das führt zu Sicherheitsproblemen für die römischen Besatzungstruppen, die die ohnehin vorhandenen Spannungen mit der Bevölkerung noch verstärken.
Downie schafft es dabei, beide Seiten nachvollziehbar zu schildern. Sie, und mit ihr der Leser, stehen nie völlig auf der einen oder der anderen Seite. Man kann sowohl das Verhalten der Vertreter des Imperiums als auch das der Einheimischen ein Stück weit nachvollziehen. Auf der anderen Seite möchte man so manches Mal hüben wie drüben jemandem den Kopf zurechtrücken. Einen wichtigen Beitrag zu diesem "sowohl – als auch" leistet die Aufteilung der Erzählperspektive. Einen Teil der Handlung erlebt man aus Rusos Perspektive, einen anderen aus der von Tilla.
Die Autorin nutzt dies auch um die Spannung noch weiter anzuheizen. Es kommt nicht selten vor, dass der Leser die Puzzlestücke, die die beiden Protagonisten getrennt voneinander zusammengetragen haben, vor ihnen zusammensetzen kann. Auch ansonsten ist die Geschichte sehr spannend, nicht zuletzt aufgrund der Umgangsformen in der damaligen Gesellschaft, die mit dem Begriff "rüde" noch zurückhaltend umschrieben sind. Aufrührerische Briten werden großzügigerweise wieder freigelassen – aber natürlich nicht, bevor sie gründlich ausgepeitscht wurden, vor den Augen ihrer Kinder, damit auch jeder begreift, dass es keine gute Idee ist, sich gegen Rom aufzulehnen. Auf der anderen Seite hätte eine fanatisierte Schar Einheimischer um ein Haar für ein vorzeitiges Ende der Serie gesorgt. Diese und andere Fälle von Gewalt und Brutalität werden von den Charakteren wie selbstverständlich hingenommen. Das mag die damalige Mentalität korrekt widerspiegeln, für heutige Leser ist es gelegentlich mindestens irritierend. Hierin liegt auch der Grund dafür, dass "Der Fluch des Hirschgottes" nicht für zu junge Leser empfohlen werden kann.
Ebenfalls zur Spannung trägt die geschickte Konstruktion des Kriminalfalls bei. Es bleibt lange völlig unklar, wer denn nun wirklich der Täter ist, und noch länger, ob man ihn auch für seine Taten zur Rechenschaft ziehen kann. Auf der anderen Seite wird die Detektivarbeit aber häufig von den beiden Hauptfiguren und ihrer Beziehung überschattet. Denn Ruso und Tilla stehen ganz eindeutig im Zentrum des Romans.
Dabei schafft es Downie, den Ausgang nicht selbstverständlich erscheinen zu lassen. Oft ahnt man als Leser ja schon sehr früh, dass sich zwei Charaktere "kriegen" werden, und das eigentlich Interessante ist der Weg zum Ziel. In diesem Fall erscheint es sehr lange zumindest denkbar, dass die beiden endgültig getrennte Wege gehen. Aber so viel sei verraten, auch in den bisher noch nicht auf Deutsch erscheinenen Folgebänden erlebt man Ruso und Tilla.
Was die historische Einbettung betrifft fällt auch dem vorgebildeten Laien kein größerer Lapsus auf. Hinter Coria verbirgt sich vermutlich das heutige Corchester in Northumberland, wobei es noch weitere Militärlager aus römischer Zeit mit diesem Namen gibt.
Eine interessante Randbeobachtung ist, dass der dem eifrigen Leser historischer Krimis aus dem römischen Imperium wohlbekannte Name Metellus auch hier auftaucht. In John Maddox Roberts SPQR-Serie ist ein Mitglied dieser Familie ja der Protagonist, und auch Lindsey Davis' Privatermittler Marcus Didius Falco hatte schon einen Metellus unter seinen Auftraggebern. Hier trägt ein Berater des Präfekten, der zur Sicherung des Friedens und der römischen Herrschaft alles zu tun bereit ist, diesen Namen.
Apropos Falco, wie schon der Vorgängerband erinnert auch dieser Roman mehr als nur ein wenig an die erfolgreiche Reihe aus der Zeit Vespasians. Wie Falco und Helena sind auch Ruso und Tilla zwei Dickschädel, die sich erst über ihre Gefühle klarwerden müssen. Und wie die Senatorentochter mischt auch die junge Frau aus Britannien bei den Ermittlungen ihres männlichen Partners ordentlich mit, was den nicht immer nur erfreut. Allerdings sind Ruth Downies Romane längst keine reinen Davis-Nachbauten, sondern können sich eigenständig sehen lassen.
Fazit:
Auf das gelungene Debut lässt Ruth Downie eine nicht minder gute Fortsetzung folgen. Mit verschiedenen Mitteln hält die Autorin das Spannungsniveau erfreulich hoch, und auch die Entwicklung der Beziehung zwischen Ruso und Tilla sorgt für Interesse beim Leser. Die stellenweise sehr heftige Brutalität und die Selbstverständlichkeit, mit der die Charaktere sie hinnehmen, macht den Roman allerdings für sehr junge Leser ungeeignet.
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Ruth Downie
Der Fluch des Hirschgottes. Ein Fall für Medicus Ruso
Ruso and the Demented Doctor
Übersetzer: Bärbel und Velten Arnold
Erscheinungsjahr: 2009
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Goldmann Verlag
Preis: € 12,00
ISBN: 978-3-442-46349-7
544 Seiten
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