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Das Wort für Welt ist Wald

Story:
Sie kommen als Konquistadoren, die sich eine neue Welt untertan machen wollen. Der New Tahiti getaufte Planet ist gerade einmal 27 Lichtjahre von der Erde entfernt und bietet etwas im Überfluss, was in der ausgeplünderten Heimat wertvoller als Gold geworden ist – Wald, oder besser, Holz. Also errichten die Kolonisten Holzfäller-Camps, roden den undurchdringlichen Wald und zwingen die einheimischen Humanoiden zu "freiwilligen Hilfsdiensten". Aber dann zeigt sich, dass die abfällig "Creechies" genannten Eingeborenen nicht so friedfertig und harmlos sind wie man zunächst dachte. Das Paradies beginnt sich zu wehren...

Meinung:
"Ein Arkadien, dessen Könige wir sein wollen", schrieb enthusiastisch der englische Wissenschaftler Joseph Banks über das im achtzehnten Jahrhundert neu entdeckte Tahiti. Ähnlich muss den irdischen Kolonisten, die Ursula K. Le Guin in diesem Roman beschreibt, der neu entdeckte Planet vorgekommen sein. Mit 27 Lichtjahren ist er in "erreichbarer Nähe", gleichzeitig aber weit genug weg, so dass eine Antwort von der Erde auf eventuelle Fehler und Verstöße gegen Befehle beruhigende 54 Jahre auf sich warten lässt. Dazu ist er geradezu überwuchert mit dem wertvollsten Rohstoff überhaupt, nach dem die Heimat giert, und darunter befinden sich ganze Kontinente noch unerschlossenes Farmland. Und das alles liegt vor ihnen, sie brauchen es sich nur zu nehmen. Kein Wunder, dass die Neuankömmlinge ihr neues Reich "New Tahiti" nennen.

Und sie nehmen es sich ohne Rücksicht auf irgendetwas. Die meisten denken wie der Armeeoffizier Davidson: Er betrachtet die Dinge gern "aus der richtigen Perspektive, von oben nach unten, und oben, das sind bis jetzt immer noch die Menschen". Jetzt sind die Kolonisten auf dem Planeten, also hat sich der gefälligst an sie anzupassen. Also werden die einheimischen Humanoiden, die "Creechies", zusammengetrieben und eingepfercht, um "freiwillige Hilfsarbeiten" zu verrichten. Wenn sie nicht richtig spuren, werden ein paar abgeknallt, das wird den restlichen schon eine Lehre sein. Und wenn die sexuell frustrierten Erdlinge in einer Welt fast ohne menschliche Frauen mal ein Creechie-Weibchen vergewaltigen, ist das auch nicht weiter schlimm. Gleichzeitig wird der überall wachsende Wald radikal abgeholzt bis auf den letzten Quadratmeter. Denn warum sollte man kostbaren Platz vergeuden, auf dem man auch Sojabohnen anbauen kann?

Auf der anderen Seite schildert der Roman die Sicht der Eingeborenen auf die "Humaner", wie sie uns nennen. Die "Athsheaner", was wohl die beste Übertragung ihrer Bezeichnung für sich selbst in unsere Sprache wäre, können kaum glauben, dass die Neuankömmlinge tatsächlich Menschen sein sollen. Nicht nur sind sie äußerlich ziemlich anders, viel größer und beinahe haarlos. Sie träumen fast nicht, und wenn, dann nur während des Schlafes. Die Ureinwohner kennen neben der "Weltzeit", die für die Humaner die einzige Realität ist, noch die "Traumzeit". Das ist ein spezieller Bewusstseinszustand, der dabei hilft, die emotionale und psychische Belastung durch die Weltzeit auszubalancieren. Sind die Humaner vielleicht einfach wahnsinnig, weil sie nicht träumen? Auf jeden Fall können sie nicht über jemandem singen, also durch einen ritualisierten Sangeswettstreit Konflikte ohne Gewalt lösen. Und die Gesten, mit denen ein Verwundeter um sein Leben bittet, achten sie ebenfalls nicht.

Die Amerikanerin Ursula K. Le Guin schreibt seit fast sechzig Jahren. Auf der Suche nach einen Gebiet, auf dem ihre Werke eine Chance auf Veröffentlichung hätten, wandte sie sich Anfang der 1950er der Science Fiction zu. Im Laufe der Jahre sollten ihre Werke das Genre mit prägen. Außerdem hat sie Fantasy, realistische Fiktion, Bücher für Kinder und Jugendliche, Drehbücher, Essays, Texte für Musiker und Sprecher und Gedichte veröffentlicht. In ihrer Bibliografie finden sich sieben Gedichtbände, 21 Romane, über 100 Kurzgeschichten, vier Essay-Sammlungen, zwölf Kinderbücher und vier Bände mit Übersetzungen. Hinzu kommt sprachwissenschaftliche Fachliteratur.

Die Tochter des Anthropologen Alfred Kroeber und der Schriftstellerin Theodora Kroeber studierte französische und italienische Geschichte und erwarb einen Master-Abschluss an der University of Columbia. Ihr Durchbruch in der Science Fiction kam 1969 mit "Winterplanet", für den sie als erste Frau gleichzeitig die beiden wichtigsten Preise des Genres, den Hugo und den Nebula Award erhielt. Beide Auszeichnungen erhielt sie später noch für andere Werke, darunter auch einen Hugo Award für "Das Wort für Welt ist Wald". Außerdem konnte sie jeweils mehrfach den World Fantasy Award, den James Tiptree Jr. Award, den Endeavour Award und den Asimov's Readers' Poll Award gewinnen. Drei Mal war sie für den Pulitzer-Preis nominiert. Seit 1979 ist sie "Grand Master of Fantasy" als Ehrung für ihr Lebenswerk. In der Fantasy ist sie vor allem für ihren "Erdsee"-Zyklus bekannt, der für einige auf der gleichen Stufe wie "Der Herr der Ringe" steht.

Obwohl ihre Geschichten häufig auf fernen Planeten spielen, ist ihr Kern oft sehr irdisch, oder besser gesagt, menschlich. Le Guin befasst sich vor allem mit soziologischen und anthropologischen Fragestellungen, aber auch mit anarchistischen, ethnographischen, feministischen, psychologischen oder ökologischen Themen. Im hier besprochenen Roman schildert sie etwa einen klassischen Zusammenstoß zweier höchst unterschiedlicher Zivilisationen. Beide Seiten gehen zunächst völlig selbstverständlich davon aus, dass die anderen genauso "ticken" wie man selbst. Die Humaner nehmen sich, was sie haben wollen, wenn nötig mit Gewalt, und rechnen damit, dass die Creechies beim geringsten Anzeichen von Schwäche dasselbe mit ihnen tun würden. Die Athsheaner auf der anderen Seite versuchen die Konflikte mit den Neuankömmlingen über ihre Rituale zu lösen, mit denen sie Gewalt praktisch völlig vermeiden. Und das Ergebnis ist Leid und Tod auf allen Seiten.

Dabei sind die Sympathien zu Beginn klar verteilt. Besonders der arrogante und gewalttätige Captain Davidson sorgt mit seinem Verhalten und seinen Ansichten dafür, dass man ihm am liebsten eine reinschlagen würde. Dabei muss man zwar berücksichtigen, dass die Geschichte erstmals 1972 erschienen ist, aber auch nach damaligen Maßstäben hätte er kaum Zustimmung ernten können. Jedoch werden auch die Athsheaner nicht als perfekt dargestellt, insbesondere nachdem Selver aufgetreten ist. Er ist der erste seiner Art, der Mord kennengelernt hat, und führt seine Leute in den bewaffneten Kampf gegen die Konquistadoren.

Die Geschichte wird im Wechsel aus den unterschiedlichen Perspektiven der Erdlinge, der Einheimischen und aus der des Humaner-Wissenschaftlers Ljubow erzählt. Letzterer ist der einzige unter den Kolonisten, der wenigstens versucht, sich der Welt der Athsheaner anzunähern und ihnen seine eigene näher zu bringen. Dabei fällt auf, wie komplett die Autorin die jeweilige Sichtweise darstellt. Jeder spricht von seiner eigenen Siedlung als "der Stadt", jeder spricht von seinen eigenen Leuten als "den Menschen", von denen sich die jeweils anderen unterscheiden. Die Humaner nennen ihren Heimatplaneten "Erde", mit demselben Wort, das sie für den Erdboden benutzen. In den Sprachen der Athsheaner bedeutet das Wort für "Welt", wie der Titel des Romans schon sagt, auch "Wald".

Das Science Fiction-Setting ist sichtbar vor allem dafür gedacht, dass die verschiedenen Figuren ihre Weltsicht darlegen können und dass die Autorin soziologische und anthropologische Ideen erforschen kann. "Das Wort für Welt ist Wald" wird, wie eine ganze Reihe von Titeln aus Le Guins Feder, deshalb oft zur "social fiction" gezählt. Auch an Vorbildern für die verschiedenen Gruppen aus der realen, irdischen Geschichte mangelt es nicht, vor allem aus der Zeit, als die Europäer auszogen, auf anderen Kontinenten Kolonialherren zu werden. Die Spanne reicht von den nord- oder südamerikanischen Ureinwohnern über Afrika oder Asien bis Australien. Wie die Autorin einmal schrieb, hat sie vor allem der Vietnamkrieg zu dem Roman inspiriert. Als interessanten Twist hat sie unter die Humaner einige von vietnamesischer Abstammung gemischt. Die Unterdrückten von heute können die Unterdrücker von morgen sein.

Die Botschaft ist deutlich: Wer versucht, einer anderen Kultur die eigenen Werte und Gewohnheiten aufzupressen, kann nur scheitern. Und für den, der die anderen rücksichtslos überrollt und ausplündert, gilt das nur umso mehr. Auch der zur Entstehung der Geschichte noch neue ökologische Gedanke nimmt einen großen Raum ein. Das soll aber nicht heißen, dass die Autorin über Vorbildern, Analyse und Botschaft das Schriftstellerische vergessen hätte. "Das Wort für Welt ist Wald" ist eine sehr gut erzählte Geschichte, was nicht zuletzt an den dreidimensionalen und glaubwürdigen Charakteren liegt. Selbst Davidson ist nicht "einfach böse", sondern seine Handlungen sind aus seinem Weltbild und seinen Erfahrungen heraus erklärbar. Hinzu kommt, dass Le Guin kein Happy End aus der Handlung gezwungen hat, bei dem alle ihre Fehler einsehen und in Zukunft in Frieden miteinander leben. Das Ende ist folgerichtig und eigentlich die einzige mögliche Konsequenz aus der Geschichte.

"Das Wort für Welt ist Wald" ist ein Teil des Hainish-Zyklus, zu dem beispielsweise auch "Rocannons Welt", "Das zehnte Jahr", "Winterplanet" (auch bekannt als "Die linke Hand der Dunkelheit") oder "Die Erzähler" gehören. Allerdings sind die Verweise auf die Rahmenhandlung wie oft in diesem Zyklus nur gering, das Buch kann ohne weiteres eigenständig gelesen werden.

Fazit:
Eine Erzählung aus der "social fiction", die aber auch unabhängig von sichtbaren Vorbildern, anthropologischen und soziologischen Gedanken und einer deutlichen Botschaft einfach eine sehr gute Geschichte ist.

Das Wort für Welt ist Wald - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Ursula K. Le Guin
Das Wort für Welt ist Wald
The Word for World is Wood

Übersetzer: Gisela Stege
Erscheinungsjahr: 1992



Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck

Verlag:
Heyne Verlag

ISBN:
3-453-30378-4

156 Seiten
Positiv aufgefallen
  • Eine sehr gute Geschichte mit nachvollziehbaren Figuren
  • Interessante anthropologische und soziologische Überlegungen
Negativ aufgefallen
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Rezension vom: 14.10.2010
Kategorie: Science Fiction
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