Silberschweine
Story:
Rom, nach unserer Zeitrechnung im Jahr 70. Nach dem berüchtigten Vierkaiserjahr, in dem sich innerhalb von zwölf Monaten vier Kaiser auf den Thron putschten und dem Imperiums Chaos und Bürgerkrieg brachten, hat sich die Lage unter Vespasian gerade wieder so einigermaßen stabilisiert.
In der Hauptstadt ist der Privatermittler Marcus Didius Falco unterdessen vor allem damit beschäftigt, untreuen Ehefrauen nachzuspionieren. In der restlichen Zeit versucht er, seinem Vermieter aus dem Weg zu gehen. Als er eines Tages einem hübschen jungen Mädchen aus besseren Kreisen begegnet, das auf der Flucht vor zwei Schlägern ist, hilft er ihr. Schließlich könnte dabei nicht nur nette Gesellschaft im Bett, sondern mit etwas Glück auch ein Ermittlungsauftrag von ihrer Familie herausspringen.
Aber es scheint, als hätte der Detektiv hier mehr abgebissen als er verdauen kann. Die blonde Sosia ist die Nichte eines Senators, und ihre missglückte Entführung steht im Zusammenhang mit einem viel größeren Fall. Aus den britischen Silberminen verschwinden regelmäßig Metallbarren, sogenannte Silberschweine. Die fehlen dann nicht nur in den kaiserlichen Kassen, das so aufgehäufte Vermögen könnte auch ohne weiteres dazu benutzt werden, sich die Gunst der mächtigen Prätorianergarde zu kaufen und Vespasian zu stürzen.
Britannien kennt Falco noch aus seiner Militärzeit und will eigentlich unter keinen Umständen dorthin zurück. Aber als Sosia ermordet wird, will er die Verantwortlichen unbedingt zur Strecke bringen...
Meinung:
Mit Marcus Didius Falco hat die Autorin einen Schnüffler geschaffen, der ohne weiteres ein Vorfahre der Ermittler von Dashiel Hammet oder Raymond Chandler sein könnte: Nach außen schnoddrig, abgebrüht und mit rauer Schale, aber darunter verbirgt sich ein goldener und durchaus auch weicher Kern.
Ihn schickt Lindsey Davis in ein weitgehend historisch korrektes Rom zur Zeit Vespasians, auch wenn es damals vermutlich keine Privatermittler gab. Dabei erlebt der Leser nicht nur die Seiten der Stadt, die zum heute gern gepflegten hehren Marmorduktus beitragen. Zwar führt die Handlung unter anderem auf das Forum Romanum und in den Kaiserpalast, aber eben auch in baufällige Mietskasernen, deren Eigentümer ihr Geld schon mal von Gladiatoren eintreiben lassen. Auch die wenig respektvolle Sichtweise des Helden und Ich-Erzählers, der als Plebejer nicht viel für den Erbadel der Patrizier übrig hat, trägt zu diesem Eindruck bei.
Auch Britannien, in dem einige Abschnittes des Romans spielen, wird nicht als idealtypische römische Provinz geschildert. Im Gegenteil, unter der dünnen Tünche des römischen Einflusses ist das Land immer noch kaum weniger wild als es vor der Eroberung war. Falco muss nicht nur mit dem Wetter und den Erinnerungen an seinen Dienst in der Legion während des blutigen Boudicca-Aufstands fertig werden, seine Tarnung bereitet ihm ebenfalls Probleme. In die Silberminen wird er als entlaufener Sklave, der mit harter Arbeit zur Räson gebracht werden soll, eingeschleust. Und auf dem Rückweg in die Zivilisation ist er offiziell Begleiter und Leibwächter von Sosias Cousine Helena. Die hat ihren ganz eigenen Kopf und kann Falco nicht ausstehen – was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht.
Aus diesen Zutaten stellt die Autorin eine spannende und packende Geschichte zusammen. Neben dem eigentlichen Kriminalfall, der für genügend Wirbel sorgt, muss der Detektiv sich auch mit privaten Problemen herumschlagen – und mit seinem Liebesleben. Welches Mädchen das Herz des Schnüfflers erobern wird, sei hier nicht verraten, aber die beiden sorgen für einige herzergreifende gemeinsame Szenen. Besonders die ganz am Schluss des Buches ist romantisch, ohne dabei in den Kitsch abzugleiten.
Das gilt eigentlich für den gesamten Roman: Er hält die Waage. Der Held ist schnoddrig, ohne (übermäßig) respektlos zu sein, die Autorin ist historisch exakt, ohne dass es auf Kosten der Spannung geht, es gibt Gefühle, aber keinen Kitsch.
Mit diesem ersten Abenteuer war Marcus Didius Falco erfolgreich genug, um eine ganze Reihe historischer Krimis folgen zu lassen. Inzwischen ist die Serie im englischen Original auf zwanzig Bände angewachsen, von denen auf Deutsch kürzlich die Nummer Siebzehn erschienen ist. Der folgende ist für Januar 2011 angekündigt. Allerdings hat die Backlist größere Lücken, und auch die "Silberschweine" sind im Moment verlagsvergriffen. Aber es gibt ja immer noch den Gebrauchtmarkt, und dieser Roman lohnt die Mühe.
Fazit:
Ein gelungener Einstand für den Privatermittler im alten Rom. Lindsey Davis verbindet historische Korrektheit mit einer spannenden Geschichte und interessanten Figuren.
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Lindsey Davis
Silberschweine
The Silver Pigs
Übersetzer: Reinhard Kaiser
Erscheinungsjahr: 1993
Autor der Besprechung:
Henning Kockerbeck
Verlag:
Knaur
ISBN: 3-426-60023-4
377 Seiten
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