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Günter Wallraff, als er selbst

Im wunderschönen Lesezelt des Börsenvereins des deutschen Buchhandels auf der Buchmesse kehrt andächtige Stille ein, als die Musik verstummt. Kameraleute filmen minutenlang einen stillen Winkel, den das Publikum nicht einsehen kann. Jemand verteilt die neue Ausgabe des Zeit-Magazins, und endlich betritt jemand die Bühne – der selbst bei bester Verkleidung nicht als Günter Wallraff durchgehen kann. Tatsächlich handelt es sich um Christoph Amend, Redaktionsleiter von Der Zeit, und kurz darauf betritt dann auch Herr Wallraff die Bühne, ganz unverkleidet. Der Grund ihres Zusammentreffens auf der Buchmesse ist die Vorstellung von Wallraffs neuem Buch „Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen aus dem Landesinneren“, welches diese Woche erschienen ist.

Auch nach 40 Jahren im Dienst war Herr Wallraff wieder einmal Undercover unterwegs, um Missstände in Deutschland aufzudecken, diesmal allerdings nicht in Betrieben, sondern, wenn man so will, in der Gesellschaft: Wallraff war als Schwarzer unterwegs. Verkleidet hat er sich nicht im eigentlichen Sinne. Er hat sich natürlich schminken lassen und eine schwarze krause Kurzhaarperücke getragen, aber das war es auch schon. Er hat seine normale Kleidung getragen und auch Stimme oder Akzent nicht verstellt. Er habe nicht provoziert, erzählte er, sei freundlich und offen gewesen – und ist doch völlig anders behandelt worden, als er es normalerweise wird. Erstaunlicherweise sei er kaum auf seine Herkunft angesprochen worden; nur manchmal hätten sich Leute gewundert, wie gut er eigentlich deutsch spricht. Dann habe er gesagt, er habe Deutsch im Goethe-Institut gelernt. Deutschland, so bescheinigt es Günter Wallraff, ist zu großen Teilen fremdenfeindlich. Beispielsweise hat der bekennende Kölner versucht, dort eine Wohnung zu finden. Dutzende male habe er Kaution angeboten, aber ihm ist immer freundlich abgelehnt worden. Einmal ist direkt nach ihm ein anderer Kollege Undercover als Interessierter in der Wohnung gewesen, und plötzlich habe die Vermieterin losgelegt: Der Mann vor ihm sei ja so völlig schwarz gewesen, das gehe doch nicht, und außerdem, dann habe man ja immer die Gerüche von den Gewürzen im Haus, mit denen „diese Leute“ kochen… dies sind alles natürlich keine wörtlichen Zitate, aber vom Sinn her treffend.

Diese und andere Geschichten wurden mit der versteckten Kamera aufgenommen um einen Film daraus zu machen. Dazu muss man die Erlaubnis der gefilmten Personen einholen, und erstaunlicherweise hat diese Vermieterin sogar zugestimmt – was wohl zeigt, dass ihr diese vorgeführten Vorurteile nicht einmal peinlich sind. Oder dass sie drüber steht. Wallraff brachte noch ein anderes Beispiel und erzählte davon, dass er sich in dieser Verkleidung einmal unter offensichtlich gewaltbereite Fußballfans gemischt habe und angepöbelt worden sei. Die nahe dabei stehenden Polizisten kamen aber nicht zu Hilfe und taten offenbar so, als wäre nichts passiert. Erst als jemand tatsächlich handgreiflich werden wollte, habe eine Polizistin mutig eingegriffen, was die Situation dann auch entspannt hat.

Zum Abschluss des Gespräches ist Herr Wallraff dann noch auf die Frage eingegangen, ob es nicht anmaßend sei, sich als Schwarzer zu verkleiden um nach Vorurteilungen zu suchen. Er ist nicht der Ansicht, denn es bringt drei positive Effekte: Zum einen lerne er die Realität für nicht-VIPs kennen. Zum zweiten kann er auf diese Weise die Missstände sichtbar machen, unter denen andere leiden, die sich aber möglicherweise nicht trauen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Zum dritten ist dadurch der Lerneffekt für die Vorgeführten größer, da sie vorsichtiger sind, für den Fall dass ihnen mal wieder ein Günter Wallraff gegenüber steht…

Ob Wallraffs Einsatz als Schwarzer diesmal irgendwelche Veränderungen zum Guten bewirkt bleibt abzuwarten, aber das Buch wird sicherlich interessant zu lesen sein.



Daten dieses Berichts
Bericht vom: 17.10.2009 - 22:11
Kategorie: Tagebuch
Autor dieses Berichts: Skrollan Kannengießer
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